Geniale Idee trifft fachkundiges Publikum
Zwei Jahre Pandemie, zwei Jahre ohne Messe – Iris Münz, Geschäftsführerin der ultraTec Anlagentechnik Münz ist die Vorfreude auf die GrindingHub in Stuttgart (17. bis 20. Mai 2022) deutlich anzumerken: „Wir hatten im Oktober 2019 gerade unseren Prototypen am Start, dann kam Corona“, erzählt sie. „Jetzt können wir es wirklich kaum erwarten, unsere Ultraschall-Entgratungsanlage einem breiten fachkundigen Publikum vorzuführen.“
GrindingHub präsentiert innovative junge Unternehmen auf dem Start-up Hub
Das Unternehmen aus dem baden-württembergischen Laupheim beteiligt sich am Gemeinschaftsstand Start-up Hub und nutzt damit ein Angebot, mit dem GrindingHub-Veranstalter VDW (Verein Deutscher Werkzeugmaschinenfabriken) jungen Unternehmen den Markteinstieg erleichtern möchte.
Gründerszene nach Pandemie-Delle im Aufwind
Gerade für Start-ups haben Messen eine besondere Bedeutung, um neue Kunden zu treffen und eine starke, zuverlässige Marke aufzubauen, stellt der VDW in seiner Messeankündigung fest. Die neue Fachmesse GrindingHub kommt zum richtigen Zeitpunkt. Die Stimmung in der Szene ist gut, bestätigt auch Marvin Kaes, Leiter des RWTH Innovation Entrepreneurship Centers. Es gebe derzeit viele interessierte Investoren und offensichtlich auch viel Kapital im Markt. Der Deutscher Startup Monitor (DSM) des Startup Verbands, Berlin, zeigt, dass sich das Geschäftsklima für junge Unternehmen nach der Corona-Pandemie deutlich erholt hat und wieder auf Vorkrisenniveau liegt. Allein im vergangenen Jahr wurden für Deutschland 2.013 Start-ups ausgewiesen. Das sollte aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass viele Unternehmen, die kurz vor der Pandemie gegründet wurden, auch schwierige Zeiten überbrücken mussten. Statistisch werden rund zwei Drittel aller Neugründungen aus eigener Kraft und eigenfinanziert auf den Weg gebracht. Und wo es keine Referenzumsätze der Vorjahre gab, waren Corona-Hilfen keine Option.
Ultraschall-Entgraten: effizient und ressourcenschonend
Das galt auch für das Unternehmen, das Iris Münz gemeinsam mit Ehemann Dieter 2019 gegründet hat. Und dabei hatte alles so gut begonnen: Die ursprüngliche Idee für die Ultraschall-Entgratungsanlage stammt aus einem Projekt, mit dem sich Münz-Sohn Jonas gemeinsam mit einem Freund erfolgreich bei „Jugend forscht“ bewarb. Drei Tage bevor der Junior die höchste Auszeichnung, den „Preis des Bundespräsidenten für eine außergewöhnliche Arbeit“ entgegennahm, wurde die Firma ultraTec Anlagentechnik Münz GmbH gegründet. Dieter Münz, Produktionstechniker und Wirtschaftsingenieur, hatte die beiden Jungforscher gecoacht. Es war ihm danach ein besonderes Anliegen, das Verfahren zur Marktreife zu entwickeln und gleichzeitig zu verhindern, dass es „in irgendeiner Schublade verschwindet“. Das neuartige und hoch innovative Ultraschall-Entgratungsverfahren hat sich das Unternehmen durch zwei bereits erteilte Patente geschützt.
Angeregt durch den Ultraschall-Generator, schwingt die Sonotrode im Prozesswasserbecken 20.000-mal in der Sekunde über 0,1 mm vor und zurück, erläutert Iris Münz. Führt man die zu entgratenden Kanten und Bohrungen eines Bauteils in einem definierten Winkel entlang der Sonotrodenspitze, werden die Grate aufgeschwungen und prozesssicher abgetragen. Das Besondere an dem Verfahren ist, so Münz, dass es nahezu materialunabhängig ist und sich auch sensible Oberflächen, komplexe Geometrien, Mikrobauteile oder scharfe Kanten in dem validierbaren Prozess automatisiert bearbeiten lassen. Die mechanisch-technischen Eigenschaften werden nicht verändert. Auch unter Umweltaspekten kann das Ultraschall-Verfahren punkten: Es begnügt sich laut Iris Münz mit ressourcenschonenden 5 Prozent des Energieverbrauchs gegenüber dem thermischen Entgraten oder Hochdruckwasserstrahlentgraten. Das Prozesswasser lasse sich problemlos entsorgen, da keine entsorgungspflichtigen Chemikalien beigefügt und die abgelösten Grate ausgefiltert werden.
Rundschleifen auf den Kopf gestellt
Das Thema Ressourceneffizienz steht auch bei der Firma G-Elements GmbH aus Wallisellen, Schweiz, ganz oben auf der Agenda. Gegründet wurde das Unternehmen 2016 von den beiden Maschinenbauern Florian Hänni und Thomas Sigrist, die das Konzept der Rundschleifmaschine einfach mal – im besten Sinne – auf den Kopf stellten. Nach der Philosophie Pure Grinding wurde eine Rundschleifmaschine von Peripherie-Geräten befreit und an der X-Achse aufgestellt. Mit dem neuen Achskonzept macht sich die Maschine einerseits die Schwerkraft zu Nutze, um hochpräzise und mit Toleranzen von bis zu ± 2 µm zu schleifen. Zum anderen begnügt sie sich mit einer Grundfläche, die gerade mal den Maßen einer Europalette entspricht. Die leichten 440 kg Gewicht lassen sich auf drei Rollen bewegen. „Wir fahren die Maschine zu den Aufträgen, nicht umgekehrt“, sagt Global Sales Director Helmut Gaisberger. Inbetriebnahme und Umrüsten sollen so wenig Zeit wie möglich in Anspruch nehmen. Kaum eine Stunde benötige man von der Anlieferung bis zum ersten Span, heißt es, zumal die Bedienung „super-einfach“ sei. Die Videoanleitung erleichtert das Vorgehen. Schon aus diesem Grund sei die Maschine ideal für Lehrwerkstätten, Prototypenbau und Null-Serien geeignet oder „einfach für alle“, so Gaisberger, „die vom häufigen Umrüsten genervt sind“.
Die Novität begnügt sich mit einer 230 V Haushaltssteckdose als Stromquelle und verbrauche nicht mehr Energie als eine Kaffeemaschine. Zur Wirtschaftlichkeit der Maschine trage die serienmäßige Ausstattung bei, zu der etwa Körperschalleinrichtung, eine frei verfügbare Software, die frei programmierbare Spindeldrehzahl sowie zwei Messkanäle für Tesa-Taster zählen. Auch der Offline-Programmierplatz ist im Lieferumfang enthalten. Die Steuerung wurde selbst entwickelt. Zudem ist die Maschine auf Automation und Vernetzung vorbereitet.
Aus der Forschung in den Markt
In Deutschland hat nahezu jede zweite Neugründung einen ingenieurwissenschaftlichen Hintergrund. Laut DSM stammt zudem jede vierte Unternehmensgründung (26 Prozent) aus dem Bereich Forschung/Hochschule. Das spiegelt sich auch auf dem Start-up Hub der GrindingHub wider. Während die Fraunhofer-Gesellschaften von einem „integralen Bestandteil eigener Verwertungsaktivitäten“ sprechen, sieht das Büro für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag (TAB) hier vor allem den Ursprung besonderer Hoffnungsträger. Von Spin-offs erwartet man schnelles Wachstum, positive Beiträge zum Strukturwandel, starke Impulse beim Technologietransfer und die Schaffung von Arbeitsplätzen.
In dieses Muster passt die Firma oculavis, 2016 aus der Fraunhofer-Gesellschaft und der RWTH Aachen hervorgegangen und ebenfalls auf dem Start-up Hub präsent. Ihre Mission: Abläufe in Kundenservice, Wartung und Instandhaltung zu transformieren. Auf der GrindingHub stellen die Aachener ihre modulare Augmented Reality-Plattform oculavis Share vor, die das Ziel verfolgt, „technisches Wissen an jeden Ort der Welt zu bringen“, wie Marketingleiter Daniel Mirbach betont. oculavis räumte bislang nicht weniger als 18 Awards ab und gewann den Gründerpreis NRW. Von der Corona-Pandemie dürfte das Unternehmen, das inzwischen knapp 70 Mitarbeiter beschäftigt, erheblich profitiert haben.
„Mit unserer Softwareplattform gestalten wir Serviceprozesse an der Schnittstelle zwischen Mensch und Maschine neu“, erläutert Mirbach, „indem wir die Verfügbarkeit von technischen Informationen und maschinenrelevantes Expertenwissen mit Augmented Reality beschleunigen.“ Gerade in Zeiten des Fachkräftemangels, aber auch nach den Erfahrungen der Pandemie nehmen immer mehr Unternehmen davon Abstand, teure Servicetechnikerinnen und -techniker auf lange Reisen zu Kunden etwa nach Indien oder Australien zu schicken. Es wird zunehmend nach digitalen Lösungen gesucht, um hohe Servicequalität bei gleichzeitig hoher Maschinenverfügbarkeit sicherzustellen. Auf dem Start-up Hub der GrindingHub widmen sich gleich drei junge Unternehmen dem Themenkomplex digitaler Services. Neben oculavis sind auch die Schweizer Unternehmen Rimon Technologies, ein Spin-off der ETH Zürich, und AtlasVR mit Software für Produktion und Produktionsplanung präsent. Sie bieten zudem Lösungen im Bereich Virtual Reality und Augmented Reality.
Smart Services bringen Start-ups und Schleifer zusammen
Mit der modularen Augmented Reality-Plattform oculavis Share lassen sich diverse Smart Services realisieren, darunter etwa Remote-Abnahmen, Inbetriebnahmen, Trainings und Störungsbeseitigungen. Über Smartphones, Tablets oder auch Datenbrillen sorgt die Plattform dafür, dass Mitarbeitende vor Ort virtuell geführt und angeleitet werden, ob nun eine neue Anlage eingerichtet, die Zugkraft einer Spindel überprüft oder ein defektes Bauteil im Inneren einer Maschine ausgetauscht werden soll. Für standardisierte Tätigkeiten wie Instandhaltungs-, Wartungs- und Reparaturaufgaben können digitale Workflows mit Schritt-für-Schritt-Anleitungen genutzt werden. Verschlüsselungstechnologien und Berechtigungsmanagement sorgen für die notwendige Datensicherheit.
Besonders wichtig sei es, so Daniel Mirbach, den Servicefall mit Sreenshots und Videoaufzeichnungen technisch dokumentieren zu können. Die White Label Option lässt zudem ein individuelles Corporate Branding zu. „Der Anlagenhersteller wird zum Anbieter seiner eigenen Remote Service-Plattform“, sagt Mirbach, „was dann auch spannend mit Blick auf neue Geschäftsmodelle im Service ist.“ Ein Beispiel dafür finden Besucherinnen und Besucher der GrindingHub am Stand der Vollmer Werke, Biberach. Der international agierende Maschinen- und Anlagenbauer ermöglicht dort Einblicke in seine neuen digitalen Services wie Visual Support, das als Abo-Modell mit Hilfe des oculavis Systems realisiert wurde.
Auf der GrindingHub als internationaler Treffpunkt für die Schleiftechnik-Branche bietet das Start-up Hub beste Anknüpfungspunkte für Zukunftstechnologien und datengetriebene Prozesse oder Schlüsseltechnologien wie Künstliche Intelligenz, Industrie 4.0 und Internet of Things (IoT). Für die jungen Unternehmen haben die Kommunikationsmöglichkeiten auf der Fachmesse den größten Reiz, wie Daniel Mirbach es ganz deutlich auf den Punkt bringt: „Wir wollen die Schleifer für unsere Ideen gewinnen.“
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Strategie Ausgründung
Drei Fragen an Marvin Kaes, Leiter des RWTH Innovation Entrepreneurship Centers
Auf der GrindingHub gibt es den Gemeinschaftsstand Start-up Hub, an dem auch ein Spin-off der RWTH Aachen beteiligt ist. Das dürfte kein Zufall sein. Aachen ist in der deutschen Hochschulszene Spitzenreiter bei der Zahl der Ausgründungen. Woran liegt das?
Als Gründerzentrum sind wir der Uni zwar angegliedert, genießen aber sehr viel eigenen Gestaltungsspielraum. Entsprechend unserer Vision, Europe‘s Leading Tech Incubator zu werden, haben wir eine dreistufige Strategie entwickelt. Diese beginnt mit der Mobilisierung, in der wir Studierenden über Vorlesungen, Gründerstammtische und andere Veranstaltungen die Option einer eigenen Unternehmensgründung näherbringen. In der zweiten Phase können die Studierenden dann auf uns zukommen. Wir wollen vermitteln, dass niemand mit seiner Idee allein ist und bieten daher Coachings und Workshops an, um die Teams in der ersten Zeit vor und nach ihrer Gründung bestmöglich zu unterstützen. In der dritten Phase folgt die Aufnahme in eine Community aus rund 500 Start-ups, wobei Kontakte zu Mentoren, externen Fachleuten und Investoren vermittelt werden.
Was sind die größten Hürden für angehende Gründerinnen und Gründer?
Zum einen neigen Forschende dazu, sich zu lange beim Prototyp aufzuhalten und diesen möglichst zu perfektionieren, bevor sie mögliche Kundinnen und Kunden einbeziehen. Wir versuchen, eine 80/20-Strategie zu vermitteln, die noch Luft lässt, auf Kundenwünsche einzugehen. Die zweite große Hürde besteht darin, sich ein gutes Team und ein Netzwerk aufzubauen. Ganz wichtig: Man sollte sich frühzeitig mit den Themen Go-to-Market-Strategie und Recruiting auseinandersetzen.
Wie stark hat die Gründungsbewegung unter der Corona-Pandemie gelitten?
Wir hatten 2020 eine kleine Delle, doch im Moment spüren wir ein starkes Interesse. Bei uns wird ja immer sehr viel Forschung betrieben, die auch in Patente übergeht. Die Herausforderung besteht darin, Forschende dahingehend zu motivieren und zu unterstützen, ihre Forschung dann auch in die Wirtschaft zu bringen. Aus dem RWTH Aachen-Umfeld gehen inzwischen über 100 Start-ups pro Jahr an den Start. Ich bin zuversichtlich, dass wir die Zahl in diesem Jahr sogar noch steigern werden.
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Autor: Cornelia Gewiehs, freie Journalistin, Rotenburg (Wümme)