Chancen nutzen für neues Business und Klimaschutz
Wie sehr sich die Welt der Fertigungstechnik in Zeiten von Klimaschutz und Dekarbonisierung verändern kann, wird auf der EMO Hannover 2023 rund um das Fokusthema „Future of Sustainability in Production“ deutlich. Es geht um Entwicklungen in den Bereichen nachhaltige Produktion, Energieeffizienz, alternative Antriebe und vieles mehr. Wo über Jahrzehnte etwa der Verbrennungsmotor eine dominierende Rolle spielte, beschäftigt Werkzeugmaschinenhersteller und Zulieferbetriebe zunehmend die Frage, wie Rückgänge in diesem Bereich zu kompensieren sind.
Wie sehr sich die Welt der Fertigungstechnik in Zeiten von Klimaschutz und Dekarbonisierung verändern kann, wird auf der EMO Hannover 2023 rund um das Fokusthema „Future of Sustainability in Production“ deutlich. Es geht um Entwicklungen in den Bereichen nachhaltige Produktion, Energieeffizienz, alternative Antriebe und vieles mehr. Wo über Jahrzehnte etwa der Verbrennungsmotor eine dominierende Rolle spielte, beschäftigt Werkzeugmaschinenhersteller und Zulieferbetriebe zunehmend die Frage, wie Rückgänge in diesem Bereich zu kompensieren sind. Mit großem Potenzial und Chancen für neue Geschäftsfelder lockt der Einstieg in Wasserstofftechnologien. Wissenschaftlich begleitete Entwicklungspartnerschaften entlang der Wertschöpfungskette könnten das Investitionsrisiko reduzieren.
Die zuverlässige Versorgung Deutschlands mit grünem Wasserstoff ist das große Thema, nicht erst seitdem die Bundesregierung die Nationale Wasserstoffstrategie fortgeschrieben und damit, wie es heißt, die staatlichen Leitplanken für die Erzeugung, den Transport und die Nutzung von Wasserstoff und seinen Derivaten gesetzt hat. Grüner Wasserstoff wird treibhausgasfrei hergestellt durch Elektrolyse von Wasser, wobei der dafür eingesetzte Strom aus erneuerbaren Quellen stammt. Die notwendige Infrastruktur zu entwickeln, ist eine Herausforderung, eine andere stellt die Produktion von grünem Wasserstoff dar.
Wissenschaftlicher Input für Innovationen
Bis grüner Wasserstoff in nennenswertem Umfang zur Verfügung steht und einen Teil des heutigen Verbrauchs fossiler Energien ersetzen kann, geht es nach einer Information der WGP (Wissenschaftliche Gesellschaft für Produktionstechnik) vorrangig darum, die Produktion von Stacks und Elektrolyseuren zu automatisieren, die Produktionskapazitäten drastisch zu erhöhen und dabei die geforderte Qualität zu gewährleisten. Die Herstellung von Stacks, dem Kernbestandteil von Elektrolyseuren, in denen die Aufspaltung von Wasser in Wasserstoff und Sauerstoff erfolgt, sei derzeit reine Manufaktur und damit sehr kostenaufwändig. Zudem seien die Fertigungskapazitäten begrenzt. Forschende der WGP wollen für anstehende Aufgaben den wissenschaftlichen Input geben.
Neben Universitäten und Hochschuleinrichtungen arbeitet gegenwärtig die Fraunhofer-Gesellschaft am Thema Wasserstofftechnologien, wobei den Partizipationsmöglichkeiten der Industrie besonders viel Raum gegeben wird. Großunternehmen wie Bosch, ThyssenKrupp oder ABB haben längst ihre Strategie für den schnell wachsenden Markt entwickelt. Darüber hinaus muss es darum gehen, die Transformation in der Breite zu beschleunigen, will man ehrgeizige Klimaziele erreichen oder eine Spitzenposition in der technologischen Entwicklung der Wasserstoffsysteme für sich beanspruchen.
Virtuelle Plattform als Turbo für die Wertschöpfungskette
Schrittmacher für die industrielle Massenproduktion von Elektrolyseuren und Brennstoffzellen zu werden, hat sich die „Referenzfabrik.H2“ als Ziel gesetzt, die vom Fraunhofer-Institut für Werkzeugmaschinen und Umformtechnik IWU in Chemnitz konzipiert und gemeinsam mit dem Fraunhofer-Institut für Produktionstechnologie IPT in Aachen sowie dem ebenfalls in Chemnitz ansässigen Fraunhofer-Institut für Elektronische Nanosysteme ENAS betrieben wird. Die Referenzfabrik.H2 stellt sich als hybrides Produktionssystem dar, das auf physischen und virtuellen Komponenten basiert. Es umfasst Maschinen und Anlagen zur Fertigung der wesentlichen Stack-Komponenten Bipolarplatte (BPP), Dichtung und Catalyst Coated Membran (CCM).
„Fraunhofer denkt dezentral“, erläutert Dr. Ulrike Beyer, Leiterin der Referenzfabrik.H2. Das neuartige Konzept ermögliche es, dass die erforderlichen Technologieentwicklungen eweils vor Ort erfolgen. So können etwa eine Umformpresse für BPP in Chemnitz und Fertigungsmodule für CCM in Chemnitz und Aachen zur Verfügung stehen. Deren digitale Zwillinge werden zentral in einer gemeinsamen Architektur gesammelt und für Verfahrensvergleiche sowie -bewertungen und Prozessbetrachtungen genutzt. Ziel sei es, einen Technologiebaukasten zu entwickeln, dessen Einzelkomponenten sich technologisch und wirtschaftlich bewerten lassen. So sollen das Investitionsrisiko reduziert und Unternehmen bei der Entwicklung ihres Geschäftsfeldes Wasserstoff unterstützt werden.
„Das Interesse an Wasserstofftechnologien ist riesig, auch aus den KMU,“ stellt Dr. Beyer fest. Allerdings seien kleinere Unternehmen oft auf die Frage fixiert, wie man saubere Energie für die eigene Produktion erzeugen kann. „Wichtiger ist es meines Erachtens jedoch zu erkennen, dass sich hier eine einmalige Chance bietet, in einem riesigen Markt neues Business zu generieren“, sagt die Wissenschaftlerin. Das gelte auch und besonders für Unternehmen, die Kompetenz aus der Metallbearbeitung und -umformung mitbringen. Wichtiges Anliegen der Referenzfabrik.H2 sei es daher, dass sich Industrieunternehmen unterschiedlicher Größe und Ausrichtung einbringen und gemeinsam im Schulterschluss mit der Wissenschaft bei der Wasserstoffsystem-Produktion vorankommen.
Kompetenz aus Partnerunternehmen als wichtiger Baustein
In der Referenzfabrik arbeiten die Beteiligten „auf Augenhöhe“ zusammen, berichtet Dr. Michael Hirsch, Geschäftsbereichsleiter „Neue Technologien“ bei der Firma Profiroll Technologies aus Bad Düben. Die Zusammenarbeit mit dem Fraunhofer IWU habe bei Profiroll Tradition, sagt Dr. Hirsch. Deshalb sei das Unternehmen, das auf Profil- und Gewindewalztechnologie spezialisiert und auch im September als Aussteller auf der EMO Hannover präsent ist, frühzeitig an Bord gewesen. Für den Einstieg in das Thema Wasserstoff gab es einen weiteren guten Grund: Profiroll untersucht gegenwärtig verschiedene Möglichkeiten, Rückgänge im Automobilsegment zu kompensieren. Die größten Chancen für Wasserstoff sehe man allerdings nicht im Fahrzeugbereich, sondern eher als Energieträger in der Industrie und für die Speicherung von Energie. Für die Referenzfabrik.H2 hat der Werkzeugmaschinenhersteller in Zusammenarbeit mit dem Fraunhofer IWU eine Walzprägeanlage zur Fertigung von Bipolar(halb)platten entwickelt.
Der Vorteil der Wasserstofftechnologien liegt für Profiroll darin, so Dr. Hirsch, dass sie auf bewährter Technologie gründen: „Brennstoffzelle und Elektrolyse sind grundsätzlich nichts Neues, kamen aber bislang aus dem Labormaßstab nicht hinaus. Jetzt entwickelt sich ein Markt, und wir müssen in die Massenfertigung kommen“. Die Zusammenarbeit in der Referenzfabrik erhöhe die Chancen, schneller und kostengünstiger produzieren zu können.
Einstieg jederzeit möglich
Das Partnermodell der Referenzfabrik.H2 ist darauf ausgelegt, Unternehmen jederzeit den Einstieg zu ermöglichen und sich über den Status „Starter“, „Expert“ oder „Champion“ zu entwickeln. Es werden Veranstaltungen und Schulungen angeboten, bei denen es zunächst um Grundsätzliches geht, etwa um die Typen von Brennstoffzellen und Elektrolyseuren, die Funktionsweise von Stacks oder das Thema Qualitätssicherung. Darüber hinaus gibt es Arbeitstreffen, in denen einzelne Prozessschritte analysiert und abgestimmt oder die Fragen von Fehlertoleranzen und noch zulässigen geometrischen Abweichungen erörtert werden.
„Der Austausch im wissenschaftlichen Umfeld hilft, wertvolle Zeit zu gewinnen“, sagt Dr. Thomas Koch, Leiter Produktstrategie bei NSH Technology, Chemnitz, zu den Beweggründen, in der Referenzfabrik aktiv mitzuarbeiten. Das Unternehmen kam über seine Kompetenz im Rolle-zu-Rolle-Verfahren, das für die kosteneffiziente Fertigung metallischer Bipolarplatten notwendig ist, erst kürzlich als Partner zur Referenzfabrik.H2 hinzu. „Wir beleuchten die Wertschöpfungskette und wollen dabei sein, wo sich im Markt Bedarfe herauskristallisieren oder Schwachstellen eliminieren lassen“, so Dr. Koch. Das gelte auch für die Mitarbeit in Arbeitsgruppen. Die NSH-Gruppe bringt unter anderem Erfahrungen aus Turnkey-Projekten für die Automobilindustrie mit, die sich zunehmend auf alternative Antriebe fokussiert. In der Referenzfabrik.H2 werde man sich vor allem auf rotationssymmetrische Anlagenkomponenten und Werkzeuge, wie beispielsweise für die Bipolarplatten-Herstellung konzentrieren, so Koch. Es gehe aber auch grundsätzlich darum, die Produktionstechnik für die Energiewende voranzutreiben.
Kooperation hat beim Thema Wasserstoff hohen Stellenwert
Aktuell werde die Wertschöpfungskette in der Referenzfabrik schon sehr gut abgebildet, stellt Michael Hirsch von Profiroll fest. Beteiligt seien sowohl große als auch kleine Unternehmen, das Spektrum reiche vom Werkzeugmaschinenhersteller bis zu den Spezialisten für Beschichtungen, Dichtungen, Schneidprozesse oder Laserschweißen. „Die Teams der Referenzfabrik.H2 werden natürlich umso stärker, je mehr Teilnehmerinnen und Teilnehmer sich einbringen“, sagt Hirsch, der sich zugleich eine stärkere Beteiligung von Endanwendern und OEMs wünscht. Sorgen hinsichtlich einer Zusammenarbeit unter Wettbewerbern macht er sich nicht. „Natürlich ist vorindustrielle Forschung und Geheimhaltung immer ein Thema“, räumt er ein. „Wir sind aber alle erfahren genug, um damit umzugehen.“
Auch für Thomas Koch überwiegen die Vorteile der Kooperationen. Eine ungleich größere Gefahr sieht er darin, dass sich das Trauma aus der Entwicklung von Solarenergiesystemen wiederholen könnte. „Eine kostengünstige Produktionstechnik für Wasserstoff-Systeme muss unser Ziel sein“, mahnt er. „Es darf uns nicht passieren, dass wir einen Technologievorsprung aus der Hand geben, weil sich woanders günstiger produzieren lässt.“
Akzeptanz für Wasserstoff grenzüberschreitendes Anliegen
Dr. Ulrike Beyer hat indes noch ein anderes Anliegen, weshalb sie weniger von Wettbewerb als viel mehr über grenzüberschreitende Kooperationen spricht, wenn es um Wasserstofftechnologien geht. „Wir engagieren uns sehr, um die Transformation hinzubekommen“, sagt sie. Fest stehe aber auch, dass Deutschland niemals genug grünen Wasserstoff für den Eigenbedarf produzieren kann, sondern immer auf Importe angewiesen ist. Auch hier dürften alte Fehler nicht wiederholt werden. „Es muss in unserem Interesse liegen, auf Augenhöhe zu kooperieren und die örtliche Bevölkerung zu unterstützen“, fordert Ulrike Beyer. Auch in Ländern, aus denen Deutschland Wasserstoff importiert, gäbe es Unternehmen und gut ausgebildete Arbeitskräfte, die man zum Aufbau eigener Projekte befähigen sollte. „Wer die allgemeine Akzeptanz für Wasserstoff fördert, tut dies für den Klimaschutz.“
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Autorin: Cornelia Gewiehs, freie Journalistin, Rotenburg (Wümme)
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