Clever sparen mit effizienter Prozessführung
Nicht erst seit dem Russland-Ukraine-Krieg setzen steigende Energiekosten das verarbeitende Gewerbe unter Druck. In Deutschland werden schon länger die höchsten Industriestrompreise Europas gezahlt. Zugleich muss sich jedes Unternehmen der Herausforderung stellen, CO2-Emissionen deutlich zu reduzieren und ressourcenschonend zu produzieren. Das trifft auch die Schleifbearbeitung. Ob auf der jüngsten digitalen Schleiftagung des Werkzeugmaschinenlabors WZL der RWTH Aachen oder auf der im Mai stattfindenden Fachmesse GrindingHub in Stuttgart: Branchenexpertinnen und -experten beschäftigen sich intensiv mit der Frage, wie entlang der Prozesskette Einsparungen beim Energie- und Ressourcenverbrauch zu realisieren sind.
Energie- und Ressourcenverbrauch im Focus der GrindingHub
Neben den steigenden Energie- und Rohstoffkosten haben auch gesetzliche Bestimmungen und erweiterte Kundenanforderungen maßgeblich dazu beigetragen, den Stellenwert der Energieeffizienz in der Schleifbearbeitung zu erhöhen. Das Schleifen gilt innerhalb der Prozesskette als energieintensives Fertigungsverfahren, da ein vergleichsweise geringes Werkstückvolumen mit hohem Aufwand zerspant wird. Verbesserungen in der Ökobilanz sind jedoch alles andere als trivial, können oft nur in kleinen Schritten oder in der Peripherie der eigentlichen Fertigung realisiert werden.
Über den Schleifprozess hinausdenken
Einen weiteren Aspekt brachte Prof. Thomas Bergs, Geschäftsführender Direktor des WZL und Mitglied der WGP (Wissenschaftlichen Gesellschaft für Produktionstechnik) in seinem Vortrag auf der Schleiftagung in die Diskussion. Die Schleiftechnik könne einen deutlich höheren Beitrag zu Klimaschutz und Ressourcenschonung leisten, so Bergs, wenn man über den eigentlichen Schleifprozess hinausdenkt. Eine CO2-optimierte Auslegung des Schleifprozesses müsse die optimierte Funktion des Bauteils im Einsatz berücksichtigen. Eine effizientere Prozessführung führe zu einem reduzierten Ressourceneinsatz nicht nur in der Herstellphase, sondern durch höhere Lebensdauer und verbesserte Funktionseigenschaften auch in der Einsatzphase des Werkstücks. Voraussetzung sei die Erfassung des bauteilbezogenen Energie- und Ressourceneinsatzes in einer digital vernetzten Produktion.
Für Thomas Bader, Geschäftsführer der Haas Schleifmaschinen GmbH im baden-württembergischen Trossingen, setzt die Verbesserung der Energie- und Ressourceneffizienz daher bereits vor dem eigentlichen Schleifprozess an, etwa bei der Auswahl sinnvoller Materialien für die Konstruktion der Maschinen. So hat sich Haas Schleifmaschinen bei seinen Maschinen der Marke Multigrind beispielsweise für ein Maschinenbett aus Mineralguss entschieden, das nicht nur 30 Prozent weniger Energie in der Herstellung benötigt, sondern auch besonders langlebig und gut recycelbar ist. Darüber hinaus verfüge Mineralguss über eine hervorragende Schwingungsdämpfung, wodurch sich die Standzeiten von Werkzeugen erhöhen. Müssen Werkzeuge, in diesem Fall Schleifscheiben, weniger häufig abgerichtet werden, so Bader, wirke sich dies positiv auf die Energiebilanz aus.
Recyclingfähigkeit spielt bei der Konstruktion einer Maschine grundsätzlich eine große Rolle, betont der Haas-Chef, ebenso die Anforderungen etwa der europäischen RoHS-Richtlinie für Elektro- und Elektronikgeräte. Sie legt fest, dass jedes Bauteil einer Risikobeurteilung auf umweltbedenkliche Substanzen unterzogen werden muss. Bei den Maßnahmen, die in der Maschine den Energieverbrauch reduzieren helfen, ist „clever sparen“ die Prämisse, so Thomas Bader.
Von der Maschine zu Schleiföl und Schleifscheibe
Beispiele für wirkungsvolle Maßnahmen gibt es eine ganze Reihe. Bader nennt etwa Energie-Rückspeisemodule, die die Energie der NC-Achsen und Schleifspindeln beim Abbremsen rückgewinnen, oder den Einsatz sparsamer Synchron-Motoren. Bei Haas Schleifmaschinen kommt zudem das intelligente Stand-by-Konzept Ecomodus zum Einsatz: eine Software, die den Stromverbrauch im Stand-by-Betrieb nochmals um 70 Prozent reduziert. Auch der Minimierung von Schmiermitteln widmet sich der Schleifmaschinen-Hersteller. So wird bei den selbst entwickelten Linearachsen auf den Einsatz sparsamer Fettschmierung anstelle einer Ölnebel-Schmierung gesetzt. Eine energieoptimierte Kühlschmierstoff (KSS)-Versorgung erfolgt über einen geregelten Pumpenbetrieb und direkt an das Werkstück angepasste 3D-Kühlmittelformdüsen.
Welchen Einfluss KSS und Schleiföle auf die Energieeffizienz im Schleifprozess haben können, erläutert Ken Bausch, Schleiföl-Experte bei der oelheld GmbH. Das Unternehmen hat sich mit dem eigenen Markenzeichen Hutec (Human Technology) für Mensch, Natur und Maschine den Nachhaltigkeitsgedanken bei der Entwicklung von Produkten, Produktionsprozessen und den Umgang mit Ressourcen auf die Fahnen geschrieben. Frühzeitig entschlossen sich die Stuttgarter für die Anschaffung eigener Maschinen, um Testreihen selbst durchführen zu können. Mit Hilfe von Analyse- und Prüfgeräten könne inzwischen für jeden Maschinentyp und jeden Schleifprozess das optimale Öl mit einem fein abgestimmten Verhältnis von Viskosität und Additiven ermittelt werden, so Bausch. Das gewünschte Ergebnis seien nicht nur lange Standzeiten der Öle bei geringen Nachfüllmengen, sondern auch ein ruhiger, gleichmäßiger und schonender Lauf der Maschine, der Voraussetzung ist für eine schnelle Bearbeitung, geringen Werkzeugverschleiß, hohe Oberflächengüten oder einen sparsamen Stromverbrauch. „Damit treffen wir eine ganz klare Kundenforderung“, so Bausch.
Herausforderungen durch neue Materialien
Herausforderungen für die Zukunft und damit neue Aufgaben für die Forschungs- und Entwicklungsabteilung bei oelheld ergeben sich nach Bauschs Worten vor allem durch neue und gar „exotische“ Materialien, die zu bearbeiten sind. „Wir rutschen gemeinsam mit den Maschinenherstellern in immer neue Bereiche“, sagt der Experte. Entsprechende Anfragen erwartet er auch auf der GrindingHub. Um immer neue technologische Anforderungen zu erfüllen, wird bei oelheld auch die Zusammenarbeit mit Hochschulen und Forschungseinrichtungen gepflegt.
Ebenso wie neue Materialien dürfte der Trend zu hochfesten, schwer zu bearbeitenden Werkstoffen die Bemühungen um mehr Energie- und Ressourceneffizienz herausfordern, zumal gleichzeitig die Forderung nach prozesssicheren, möglichst rund um die Uhr produzierenden Fertigungsanlagen formuliert wird. „Eine Verbesserung der Energieeffizienz führt im Schleifprozess nur über die perfekte Abstimmung von Maschine, Werkstück, Schleifscheibe, Abrichtwerkzeug, Abrichtspindel und Kühlmedium“, sagt Christoph Müller, Leiter Anwendungstechnik bei Dr. Kaiser Diamantwerkzeuge GmbH & Co. KG, Systemanbieter für Schleiftechnologie mit Sitz im niedersächsischen Celle. Der Kundenfokus sei in der Regel vor allem auf das zu fertigende Bauteil gerichtet. Das Abrichten der Schleifscheibe, die den eigentlichen Fertigungsprozess aktiv durchführt, fällt in die unproduktive Nebenzeit. So fällt den Experten bei Dr. Kaiser die Aufgabe zu, das Konditionieren der Schleifscheibe, also das Profilieren und Schärfen, so kurz wie möglich zu gestalten.
Individuelle Grenzen für die Prozessoptimierung
Bei der Prozessoptimierung sind alle Parameter, maßgeblich Schnittgeschwindigkeit und Vorschübe, auszuschöpfen, bevor das Abrichtwerkzeug entsprechend angepasst werden kann. Dabei sei zu berücksichtigen, so Müller, dass jede Produktionsmaschine ihre eigenen physikalischen Grenzen für den Prozess hat. Hier sei man oft auf Erfahrungswerte angewiesen, allerdings könnten etwa 80 Prozent des Optimierungspotenzials durch vorherige Prozessberechnungen bestimmt werden.
Die Schleifscheibe selbst biete Optimierungspotenzial in Sachen Taktzeit, da sie nicht nur auf schnelleres Schleifen, sondern auch auf bessere Standzeit getrimmt werden kann. Nach dem unvermeidbaren Abrichtprozess zur Konditionierung der Schleifscheibe könne diese länger stabil schleifen und mehr Werkstücke schaffen, bis sie auf Grund von Schleifscheibenverschleiß, Abnutzung, Zusetzungen oder Formverlust wieder abgerichtet werden muss. Einen Beitrag zur Nachhaltigkeit leistet Dr. Kaiser nach Müllers Angaben durch das selbst entwickelte ECO-Wechselsystem, das auch auf der GrindingHub zu sehen ist. Dabei kann der Trägerkörper mehrmals verwendet werden, es wird nur der mit der Zeit im Abrichtprozess verschleißende Diamant-Belag ausgetauscht. Dadurch werden Material und Energie zu mehr als 80 Prozent gegenüber herkömmlich gefertigten Abrichtwerkzeugen eingespart.
Langlebigkeit wichtiger Beitrag zur Ressourcenschonung
Für Schleiföl-Hersteller oelheld führt eine Verbesserung der Energieeffizienz über langlebige Produkte, hohes Qualitätsniveau und hochwertige Rohstoffe, betont Ken Bausch. Langlebigkeit ist auch für den Geschäftsführer von Haas Schleifmaschinen, Thomas Bader, der Schlüssel für eine Ressourcen schonende Produktion. Er legt großen Wert darauf, dass die Herstellung und der Einsatz von Multigrind Maschinen möglichst umweltschonend erfolgen. Dazu gehört, dass Kunden auch dahingehend beraten werden, wie sie ihre Maschinen möglichst lange nutzen können. Eine Lebenszeit von 30 Jahren sei durchaus realistisch. „Gerade bei Maschinen, die nicht Dauerschicht gefahren werden, ist es häufig ökologisch sinnvoller, ihnen eine Generalüberholung mit neuen Komponenten zu gönnen und ihnen so ein zweites Leben einzuhauchen, als den Kunden zu einer Neuanschaffung zu raten“, stellt Bader fest.
Auf der GrindingHub wird Haas Schleifmaschinen eine neue Multigrind vorstellen, bei der Maschine und Steuerung erstmals vollkommen getrennt sind. Gesteuert wird die Maschine über ein Tablet, das sich austauschen lässt, wenn es kein Update des Betriebssystems mehr gibt oder ein Defekt auftritt. So können Maschinen auch in Zeiten von Digitalisierung und zunehmender Vernetzung mit der schnelllebigen IT-Welt weiterhin mit langer Lebensdauer punkten. Es ist eben wichtig, über den eigentlichen Schleifprozess hinaus zu denken.
(Umfang: rund 9.939 Zeichen, inklusive Leerzeichen)
Autorin: Cornelia Gewiehs, freie Journalistin, Rotenburg (Wümme)
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