In dem Berliner Start-up CellCore GmbH haben Bioniker, Ingenieure und Softwareentwickler gemeinsam erstmals eine Software entwickelt, die nach dem Prinzip des inneren Aufbaus von Knochen Strukturen in der Technik optimiert. Bestehende Komponenten werden verbessert oder es entstehen gänzlich neuartige Lösungen.

Leichtgewichtig in den Weltraum

Ein Beispiel ist die Einspritzdüse für Triebwerke kleiner Satelliten. Mithilfe ihrer Software und klassischer Topologieoptimierung, haben CellCore-Mitarbeiter gemeinsam mit der Trumpf Laser- und Systemtechnik GmbH und dem Institut für Raumfahrtsysteme der Universität Stuttgart einen Prototypen zunächst am Computer entworfen, indem sie die optimalsten Strukturen kalkulierten. Das heißt, die Software berechnete, an welchen Stellen Material überflüssig ist, weil dort keine Spannungen wirken, und wo verstärkende Strukturen notwendig sind. Dabei wurde die Funktion der Düse – nämlich das Zuführen von Brennstoff sowie die Dämpfung von Schwingungen – in den Entwicklungsprozess eingebunden. Erst nachdem am Computer eine funktionstüchtige Komponente mit optimalen Eigenschaften entstanden war, stellten die Techniker eine erste reale Einspritzdüse mittels 3D-Druck her. „Wir haben in nur zwei Entwicklungsschleifen eine Komponente entwickelt, die inzwischen auch die erforderlichen Belastungstests erfolgreich absolviert hat“, berichtet Andreas Krüger, Geschäftsführer von CellCore. „Die neue Düse ist um beachtliche 83 Prozent leichter als die ursprüngliche Komponente.“ In den nächsten Monaten wird die biomimetische Einspritzdüse im Welt-raum eingesetzt werden.

Leichtbau boomt

Auch in der Rennsportindustrie findet CellCore Kunden, denn innovative Fertigungsverfahren bringen auch neue Möglichkeiten für die Gewichtsoptimierung einzelner Komponenten mit sich. Das Unternehmen entwickelte beispielsweise neue Flügelelemente für den Heckspoiler eines Rennautos für das Formula Student Team der TU Berlin. Den Kern des optimierten Bauteils bildete eine spezielle Wabenstruktur, die die Jungunternehmer in einem Stück druckten. Das Resultat: Es wurde nicht nur das Gewicht um 33 Prozent reduziert, sondern auch die Steifigkeit um 300 Prozent erhöht. Das Rennauto mit dem optimierten Heckspoiler erzielte nicht nur die bisher erfolgreichste Teilnahme am Wettbewerb, es erhielt im BASF-Konstruktionswettbewerb „Best Use of Fibre Reinforced Plastics“ noch dazu den ersten Preis. Die Berliner hatten das Wabenelement in Sandwichbauweise mit einer Carbondeckschicht konstruiert. „Unser Plus ist unser breites Anwendungswissen“, erläutert Krüger die Erfolge des Start-ups. „Neben Ingenieuren aus der Luft- und Raumfahrt, der Fahrzeugtechnik und den Materialwissenschaften haben wir auch Softwareentwicklungskompetenz in unserem Team.“

Inspiration und Kreativität fördern

Das Faszinierende an seinem Job sind für Krüger vor allem die Vielfalt der Themen und die Freiheit, neue Dinge ausprobieren zu können. So werden die Experten von CellCore häufiger auch für Designfragen zu Hilfe geholt. Die Sedus Stoll AG – ein klassischer Bürostuhlhersteller – wünschte sich neue Ideen für Stuhlträger. Bislang verbinden kreuzförmige Strukturen die Sitzfläche mit den Stuhlbeinen und halten somit den Sitzenden. Die CellCore-Ingenieure berechneten nun eine völlig neue Form. „Im Vergleich zum alten, kreuzförmigen Druckgussträger, entstand eine Struktur, die mehr an einen Beckenknochen erinnert. Damit sparen wir 21 Prozent an Material ein“, berichtet der Geschäftsführer. „Diese Entwicklung ist zwar noch nicht für die Serienproduktion gedacht, weil sie heute noch unwirtschaftlich wäre. Entwicklungen wie der Stuhlträger machen aber klar, was alles möglich ist.“

Ähnlich kreativ und zukunftsweisend ging es bei einem Auftrag für das Industrie-Designbüro Panik Ebner zu. CellCore konnte dank seiner Erfahrungen im Umgang mit verschiedensten Strukturen sowie deren nummerischer Simulation unter unterschiedlichsten Belastungen bei der Validierung eines neuartigen Straßenbahnkonzeptes helfen. Das Konzept von Panik Ebner spart deutlich Gewicht, bei gleicher Stabilität. Daher ist der Wagen leichter zu bewegen, was wiederum Energie spart. Die Straßenbahn ist geräumiger und bietet durch ein offenes wabenförmiges Design eine große Sichtfläche für die Fahrgäste. „Wir konnten unserem Kunden helfen, seinem innovativen Konzept die nötige Glaubwürdigkeit zu geben, was die mechanische Belastbarkeit angeht. Mit unseren Simulationsergebnissen spricht er nun mit möglichen Interessenten über die konkrete Umsetzung seiner Straßenbahn.“

Keine Grenzen für bionische Konzepte

Technische Optimierungen durch CellCore sind über alle Branchen hinweg denkbar. Derzeit befindet sich das Unternehmen zusammen mit Experten der Medizin an der Entwicklung von neuartigen Orthesen. Im Speziellen geht es hierbei um individuelle Schuheinlagen. „Wir wollen Einlagen entwickeln, die automatisiert und auf den Menschen angepasst hergestellt werden. Die 3D Druck-Technik kann somit perfekt auf den jeweiligen Fuß abgestimmte Ergebnisse liefern“, so Krüger. „Durch den aktuell individuellen und manuellen Fertigungscharakter bei medizinischen Schuheinlagen fällt der höhere Preis des 3D Drucks nicht mehr so negativ ins Gewicht.“

Weiterhin erkundet CellCore auch Optimierungspotenziale im Werkzeugbau. Bei Spritzgusswerkzeugen zum Beispiel kann durch die geschickte Platzierung von Kühlkanälen und die Integration von speziellen Gitterstrukturen die Produktionsmenge und Qualität erhöht werden. Auch neue Kühltechniken werden untersucht. CellCore wirkt dafür aktiv in Forschungsnetzwerken wie zum Beispiel dem Netzwerk für optimierte Werkzeuge Nowhum S mit.

Der Vorstellungskraft, wo überall biomimetisches Engineering eingesetzt werden kann, sind keinerlei Grenzen gesetzt. Noch gibt es zwar Einschränkungen, insbesondere was den Preis der additiven Fertigung betrifft. „Doch wir schauen in die Zukunft und zeigen zum einen, was heute schon möglich ist, zum anderen aber auch, wohin sich die Dinge entwickeln könnten.“ Dabei nutzen die Berliner Jungunternehmer auch jetzt schon lernende Algorithmen. Arbeitet CellCore also auch mit künstlicher Intelligenz? „Ein klares Jein“, antwortet Krüger. „Für meinen Geschmack wird dieser Begriff zu oft im falschen Kontext genutzt und zu stark gewichtet. Fest steht: Wir arbeiten auch gerne mit natürlicher Intelligenz.“

Autor: Gerda Kneifel, VDW
Umfang:  7.258  Zeichen inkl. Leerz.

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