Wenn der Servicetechniker coronabedingt nicht ausrücken darf, muss er eben „irgendwie“ zugeschaltet werden. Je größer die zu erwartenden Folgen eines Maschinenausfalls gerieten, umso lauter wurden auch die Rufe nach schneller Hilfe. Dabei hatte der oft als Zukunftstechnologie gepriesene Remote-Service zumindest in den Werkzeugmaschinenfabriken bereits deutlich vor Corona Einzug gehalten. Viel wichtiger als die Verbreitung erscheint deshalb die Frage, was sich während der Pandemie getan hat und ob die inzwischen vertraute digitale Servicelösung gar die Bereitschaft für neue Kooperationen im Sinne von Industrie 4.0 beflügeln kann.

Service und Wartung sind Qualitätsaspekte, die auf der METAV 2022 in Düsseldorf (8. bis 11. März) eine besondere Rolle spielen, unter anderem in der eigens dafür eingerichteten Quality-Area. Die Sonderausstellung bietet Besucherinnen und Besuchern einen Überblick über die gesamte Bandbreite der Mess- und Prüftechnik sowie der Qualitätsmanagement- und Auswertungssysteme. „Nur wer seinen Kunden verlässlich und beständig hochwertige Produkte liefern kann, wird langfristig am Markt bestehen können“, betont Dr. Wilfried Schäfer, Geschäftsführer des VDW (Verein Deutscher Werkzeugmaschinenfabriken), Veranstalter der METAV 2022. Eine kürzlich erfolgte Erhebung unter den zu diesem Zeitpunkt rund 250 angemeldeten Ausstellern der METAV 2022 bestätigt, dass Fernwartung weitgehend zum Tagesgeschäft gehört.

 

Remote-Lösungen müssen einfach und unkompliziert sein

So auch bei der Röders GmbH, Hersteller hochpräziser Fräs- und Schleifmaschinen aus dem niedersächsischen Soltau. Nach Erfahrungen von Dr. Oliver Gossel, Prokurist und Vertriebsleiter Maschinenbau, ist die Akzeptanz für Fernwartung im Kundenkreis groß, die meisten sehen das Thema sehr pragmatisch. „Die Fernwartung hilft, Zeit und Kosten zu sparen sowie Fehler zu beseitigen, ob diese nun von einer Fehlbedienung oder von einem Fehler in der Maschine verursacht wurden. In der Regel kann schnell und effizient geholfen werden.“ Gossel ist aber auch davon überzeugt, dass eine Remote-Lösung dafür möglichst unkompliziert und einfach in der Handhabung sein muss. „Wir können unsere eigene PC-basierte Steuerung, die sehr einfach in der Bedienung ist, effektiv und kostengünstig um eine Fernwartung mit klassischem System erweitern.“

Die Standardlösung werde von über 90 Prozent der Kundinnen und Kunden bevorzugt, sagt Gossel. Individuelle Lösungen, vorwiegend nachgefragt von Großunternehmen, seien zwar möglich, verlangten aber größeren Aufwand. Da werde in der Einrichtungsphase einer Maschine bereits alles genau dokumentiert und die nötige Einstellung in einer speziellen IT-Umgebung vorbereitet. So sei sichergestellt, dass im Ernstfall alles sofort funktioniere, sowohl beim Anwender oder der Anwenderin als auch im Service bei Röders. Das Unternehmen setzt bei Online-Zusammenarbeit und Fernsupport auf Lösungen von Teamviewer: ein Name, der bei METAV-Ausstellern häufig genannt wird. Die Konnektivitäts-Fachleute aus dem Baden-Württembergischen Göppingen sind auf cloudbasierte Technologien spezialisiert und stellen Werkzeuge sowohl für den Fernzugriff als auch für Datenanalyse und Support bereit.

 

In 15 Minuten in der IoT-Welt

Patrick Giezen, IoT Solutions Excellence Manager bei Teamviewer, ist davon überzeugt, dass die Pandemie zu Veränderungen im Denken und der Haltung gegenüber Remote-Lösungen geführt habe, und dass dieser Effekt auch nachhaltig wirkt. Es gebe mehr Offenheit für den digitalen Datenaustausch, sagt er. Zur Philosophie bei Teamviewer gehöre es, die Hürden für die Digitalisierung von Prozessen so niedrig wie möglich zu halten. „Viele unserer Kunden sind Mittelständler, und genau hier sehen wir einen starken Bedarf an einfach zu skalierenden Lösungen“, betont der IoT (Internet of Things)-Experte. So bietet das Unternehmen zum Beispiel Starter-Kits an, die innerhalb von 15 Minuten in die IoT-Welt einführen und erste Ergebnisse erzielen. Auf der anderen Seite arbeite Teamviewer verstärkt mit Erstausrüsterfirmen zusammen, so dass Lösungen teilweise schon in den Maschinen implementiert sind. „Die technischen Voraussetzungen, die ein Betrieb erfüllen muss, gehen über einen funktionierenden Internetanschluss nicht hinaus.“

Während Herstellerfirmen die Gunst der Stunde weitgehend nutzen, gibt es auf der anderen Seite nach wie vor Anwenderinnen und Anwender, die Vorbehalte gegenüber Fernwartungslösungen äußern. Das bestätigt auch Oliver Gossel, der seinen Kundenstamm grundsätzlich in drei Gruppen einordnet: „Die einen nutzen Standardlösungen, die anderen bevorzugen individuelle Systeme, die dritte und mit Abstand kleinste Gruppe lehnt das Thema kategorisch ab. Daran hat sich auch in Pandemiezeiten kaum etwas geändert.“

 

Sicherheitsbedenken ausräumen

Gerade im industriellen Umfeld gebe es eine besonders hohe Sensibilisierung für das Thema Datensicherheit, sagt Patrick Giezen, der darin mögliche Gründe für die Zurückhaltung sieht. Deshalb müssten hier klare Prioritäten gesetzt werden, um Unternehmen die Angst vor dem „offenen Scheunentor“ zu nehmen. „Wir können beispielsweise Daten in unserer privaten Cloudinfrastruktur verarbeiten, selbst wenn sich die Geräte in isolierten Netzwerken befinden und somit gar keine Bedrohung bestehen kann.“ Zusätzlich werden zahlreiche Sicherheitsfunktionen angeboten. Dazu gehören etwa Mehrfaktorauthentifizierung (das System fragt neben Benutzernamen und Kennwort nach zusätzlichen Identitätsnachweisen), Single Sign On (zentralisierter Service zur Nutzeridentifizierung), Active Directory Integration (Verzeichnisdienst für Zugriffsbeschränkungen auf bestimmte Objekte) oder eine allgemeine Zugriffsverwaltung.

Das Thema Datensicherheit steht auch im Fokus des Fraunhofer-Instituts für Werkzeugmaschinen und Umformtechnik IWU in Chemnitz. Im Rahmen des Forschungsprojekts „AUDIo“ (Auditlösung für Machine-Learning-basierte, datengetriebene Dienstleistungen) wurde eine IT-Architektur aufgebaut, um Fernwartungen und andere Services im Produktionsumfeld fälschungssicher anbieten zu können. Dabei werden Prozess-, Produktions- oder Maschinendaten verschlüsselt und auf Netzwerkknoten (Datenspeichern) abgelegt. Die Plattform stellt dann den sicheren Datenaustausch her, während ein hinterlegter Datei-Fingerabdruck vor unentdeckter Manipulation schützt.

 

Nächste Entwicklungsstufe: Augmented Reality

Das Forschungsprojekt AUDIo, bei dem es um den konkreten Anwendungsfall einer Remote-Kalibrierung von Werkzeugmaschinen geht, ist nach Angaben von Kilian Nölscher, am IWU federführend für das Projekt tätig, zu zwei Dritteln abgeschlossen. Aktuell wird am Fraunhofer IWU in Zusammenarbeit mit der TU Dresden ein AR (Augmented Reality)-Assistenzsystem entwickelt, das die Werkerin und den Werker vor Ort unterstützt und somit einen vorschriftsmäßigen Ablauf der Kalibrierung gewährleistet. Zum Abschluss des AUDIo-Projekts wird ein Workshop ausgearbeitet, der darauf abzielt, bei potenziellen Nutzerinnen und Nutzern Sicherheitsbedenken abzubauen. Es werden Technologien und Rahmenbedingungen vorgestellt und Fragen der Teilnehmenden beantwortet.

Augmented Reality gilt auch bei Teamviewer als nächster Entwicklungsschritt. „Wir haben bereits Kunden, die unsere AR-Technologie im industriellen Umfeld einsetzen“, bestätigt Patrick Giezen. In Verbindung mit den Maschinendaten aus dem IoT-Umfeld ließen sich Wartungsprozesse verlässlicher und effizienter gestalten, was zu einem direkten Mehrwert führe. Der Einsatz von Datenbrillen mit AR-Funktionalität ermöglicht es, dass Technikerinnen und Techniker mit beiden Händen arbeiten, während ihnen eine Schritt-für-Schritt-Anleitung im Sichtfeld angezeigt wird.

 

Ausgangslage für weitere Dienstleistungen

AR könnte Maschinenbau-Unternehmen ermöglichen, die Inbetriebnahme einer Maschine oder Anlage komplett „remote“ anbieten zu können. Dafür sprechen nicht nur Kosten- und Effizienzgründe. Es dürfte auch im Sinne des Klimaschutzes sein, wenn die Fachleute, die zur Inbetriebnahme womöglich nach Shanghai oder Buenos Aires gereist wären, per Fernzugriff, Video-/Audio-Verbindung und mit Einsatz von AR-Brillen vor Ort die Partner anleiten und betreuen könnten.

Für Kilian Nölscher vom Fraunhofer IWU ist das Thema Fernwartung jedenfalls noch längst nicht ausgereizt: „Im Zuge der zunehmenden Vernetzung von Produktionsstätten und Digitalisierung von Produktionsmitteln bei gleichzeitigem Mangel an Fachkräften wird sich das Thema Fernwartung weiterentwickeln und in den virtuellen Raum diffundieren“, sagt er. Am Beispiel der AUDIo-Plattform könnte belegt werden, dass es eine sehr gute Ausgangslage gibt, um abgesichert und nachvollziehbar Daten zwischen mehreren Parteien für Dienstleistungen wie Fernwartung oder Zustandsüberwachung austauschen zu können. Trotzdem bleibe die größte Herausforderung bei der weiteren Digitalisierung, dass zwischen dem physischen Produktionssystem und dem virtuellen Raum eine Lücke klafft, die es in jedem Fall zu schließen gilt. Fachliche Kompetenz und Servicequalität werden dabei eine große Rolle spielen.

 

Autorin: Cornelia Gewiehs, freie Journalistin, Rotenburg (Wümme)