Deutsche Werkzeugmaschinenindustrie vor großen Herausforderungen
Der VDW erwartet für 2020 einen Produktionsrückgang von 18 Prozent. „Das hat die Branche, die in den vergangenen Jahren geboomt hat, lange nicht gesehen“, sagt Dr. Heinz-Jürgen Prokop, Vorsitzender des VDW, anlässlich der Jahrespressekonferenz am 13. Februar 2020 in Frankfurt am Main. Der Nachfragerückgang, der bereits im zweiten Halbjahr 2018 einsetzte, habe 2019 richtig Fahrt aufgenommen, erläutert er weiter. Das zweistellige Minus von mehr als einem Fünftel habe den Auftragsbestand abgeschmolzen und bestimme nun die Entwicklung 2020.
Das vergangene Jahr hingegen ist viel besser gelaufen als erwartet. „Mit einem Rückgang von nur 1 Prozent lag das Produktionsergebnis in der deutschen Werkzeugmaschinenindustrie mit fast 17 Mrd. Euro nahezu auf dem Rekordniveau von 2018“, berichtet Prokop. Tragende Säule war der Inlandsabsatz, der um 16 Prozent gestiegen ist. Dem gegenüber ist der Export um 9 Prozent gesunken. Das ist vor allem auf den Rückgang der Lieferungen nach Asien um 11 Prozent und nach Amerika um 16 Prozent zurückzuführen. Hier dominieren jeweils die beiden größten Märkte China, minus 13 Prozent, und die USA, minus 15 Prozent, das regionale Ergebnis. Europa, die größte Absatzregion, die mehr als die Hälfte der deutschen Exporte aufnimmt, hat sich mit minus 5 Prozent noch vergleichsweise gut gehalten.
Kurzarbeit zügig verlängern
Vom guten Abschneiden des Inlandsmarktes konnte der Import nicht profitieren. Er ist um ein Zehntel gesunken. Die Beschäftigung war zum Jahresende um 3 Prozent zurückgegangen. Zudem meldete das Ifo-Institut eine Zunahme der Kurzarbeit auf mehr als 18 Prozent der Unternehmen. Doppelt so viele Firmen erwarten dies für die kommenden Monate. „Der Erhalt von Arbeitsplätzen genießt bei uns höchste Priorität“, bekräftigt Prokop. Um weiteren Personalabbau zu vermeiden, sollte die Kurzarbeit von 12 auf 24 Monate zügig verlängert werden, fordert er.
Die Kapazitätsauslastung lag im Januar 2020 bei 81,5 Prozent.
Die aktuelle Kombination aus zyklischem Konjunkturrücklauf, Strukturwandel in der Automobilindustrie, handelsstrategisch motivierten Turbulenzen und zu guter Letzt auch noch dem Coronavirus dämpft die Investitionsneigung weltweit. Weniger als 1 Prozent sollen die Anlageinvestitionen im laufenden Jahr nach Aussagen von Oxford Economics, Prognosepartner des VDW, steigen. Viel besser stehen nur kleinere Märkte da, wie Vietnam, Thailand, die Slowakei, Ungarn und Polen. Sie können die Zurückhaltung der großen Abnehmerländer China, USA, Italien oder Frankreich keinesfalls kompensieren. Folge ist ein entsprechend dickes Minus bei allen Kenngrößen der deutschen Werkzeugmaschineindustrie im laufenden Jahr, Produktion, Export, Import und Verbrauch.
Deutsche Werkzeugmaschinenindustrie hält Spitzenposition im internationalen Ranking
Im internationalen Ranking hat die deutsche Werkzeugmaschinenindustrie ihre Position im Spitzentrio gehalten, denn alle anderen Herstellerländer kämpfen mit ähnlichen Entwicklungen wie die Deutschen. Auf Basis vorläufiger Daten für die Top-20-Produzenten hat der VDW für 2019 einen Rückgang der internationalen Produktion ohne Teile und Zubehör um 3 Prozent auf 72,1 Mrd. Euro berechnet. Im Spitzentrio konnte nur China mit 2 Prozent zulegen.
„Im Vergleich zu früheren Wachstumsraten nimmt sich das nur sehr bescheiden aus“, relativiert Prokop. Japan auf Platz 3 verlor sogar 5 Prozent. Im Export bleibt Deutschland Weltmeister. Japan auf Platz 2 verlor ähnlich wie Deutschland ebenfalls 9 Prozent, Italien auf dem dritten Platz 2 Prozent. Im Verbrauch schließlich verliert der weltgrößte Markt China mit 8 Prozent zum zweiten Mal in Folge, die USA liegen mit 3 Prozent ebenfalls unter Vorjahr. Einzig Deutschland auf Platz 3 kann 6 Prozent zulegen.
Keine schnelle Erholung zu erwarten
„Für weite Teile der Industrie wird sich in Deutschland die Durststrecke länger fortsetzen“, prognostiziert Heinz-Jürgen Prokop. Die Industrieproduktion werde hierzulande nochmals sinken. Anlageinvestitionen in den Hauptabnehmerindustrien steigen nur marginal. Für den Werkzeugmaschinenverbrauch wird nach einem leichten Rückgang im Vorjahr 2020 ein Minus von einem Fünftel erwartet.
Beim Geschäftsklima des Ifo-Instituts und beim Einkaufsmanagerindex von Markit, beides Frühindikatoren für die weitere Entwicklung, zeigt sich in vielen Bereichen am aktuellen Rand ein Häkchen nach oben. Dies ist jedoch nicht mehr als ein Hoffnungsschimmer, denn viele Kurven befinden sich noch tief im Minus.
„Daher ist anders als in früheren Abschwüngen nicht damit zu rechnen, dass es sehr schnell wieder aufwärts gehen wird“, erwartet Prokop. Vielmehr sehe die Werkzeugmaschinenindustrie erst im zweiten Halbjahr eine gewisse Bodenbildung beim Auftragseingang, die voraussichtlich jedoch nicht für den Umschwung reichen wird. Die Produktion wird sich also nur langsam erholen und eine Weile brauchen, um wieder das Niveau der vergangenen Jahre zu erreichen.
Digitalisierung und Nachhaltigkeit sind Top-Themen der Werkzeugmaschinenindustrie
„Schwierige Zeiten bieten auch die Chance, sich neu zu erfinden“, ist sich Prokop sicher. Den größten Hebel werde in Zukunft die digitale Vernetzung bieten. Sie sei der Enabler für neue Geschäftsmodelle, ein Terrain, auf dem mit Kreativität noch viel zu erreichen sei.
Mehr Effizienz in der Produktion unterstützt nachhaltiges Wirtschaften und ebnet den Weg in die Kreislaufwirtschaft. Von Bedeutung sind die Steuerungstechnik und eine durchgängige maschinelle Kommunikation. Der drahtlose Zugang zu Informationen in Echtzeit sind ein Schlüssel für die Optimierung von Fertigungsprozessen, Kapazitäten, Energie- und Rohstoffverbräuchen.
Nun ist gerade die Werkzeugmaschinenindustrie in Sachen Nachhaltigkeit eine wahre Vorzeigebranche. Werkzeugmaschinen deutscher Herkunft gehören schon heute zu den nachhaltigsten Produkten, die es derzeit gibt. „Das sagen wir durchaus selbstbewusst“, bekräftigt der VDW-Vorsitzende. Sie zeichnen sich durch lange Nutzungsdauer aus. Für alle Komponenten der Maschinen gibt es über lange Zeit hinweg Ersatzteile. Für die Steuerungskomponenten garantieren die Lieferanten Software-Updates für mehrere Generationen. Werkzeugmaschinen werden eher general-überholt und als Gebrauchtmaschinen wiederverkauft, als dass sie ausrangiert werden. Das führt zu einem zweiten und teilweise dritten Maschinenleben. Werden sie am Lebensende verschrottet, lassen sich fast alle Materialien recyceln oder upcyceln, denn es werden vor allem hochwertige Stoffe verbaut, die wiederverwendet werden können. Schließlich ist die Produktivität der Maschinen extrem hoch. Somit wird jedes einzelne Bauteil energie- und ressourceneffizient hergestellt.
Neben der Optimierung von Maschinenkomponenten widmen sich die Hersteller dem Energieeinsatz während der Nutzungsphase. Das eingesetzte Rohmaterial und die Strom- und Medienverbräuche bestimmen die CO2-Bilanz der Produktion mit. Deshalb arbeiten Hersteller beispielsweise an Software, mit der Verschnitt und Abfall weiter reduziert werden. In Kombination mit neuer Hardware können darüber hinaus Medienverbräuche bis zu 70 Prozent reduziert werden.
Neue Antriebskonzepte technologieoffen vorantreiben
Die genannten Beispiele zeigen, dass an sehr vielen Stellschrauben gedreht werden muss, um neue Umsatzträger zu entwickeln und den Wandel zu mehr Nachhaltigkeit hinzubekommen. Das gilt auch für die Strukturveränderungen in der Automobilindustrie, die noch längst nicht abgeschlossen sind. Unklar ist insbesondere, welche Antriebstechnologie in welchem Umfang bis wann eingesetzt wird und den höchsten Beitrag zur CO2-Reduzierung leistet. Hybridisierung, volle Elektrifizierung und Batterietechnologie, Brennstoffzelle und synthetische Kraftstoffe, alles ist in der Diskussion. „Wir sind fest davon überzeugt, dass es differenzierte Lösungen für unterschiedliche Anforderungen geben muss“, sagt VDW-Vorsitzender Prokop.
Die Automobilindustrie und ihre Zulieferer nehmen einen bedeutenden Anteil der Werkzeugmaschinenproduktion ab, zwischen 35 und 40 Prozent. Tatsächlich sind diese Lieferungen jedoch nicht ausschließlich für den Antriebsstrang bestimmt. Der Verband hat dies jüngst differenzierter untersucht. Demnach entfielen 2019 etwa 60 Prozent des Umsatzes mit OEMs und Zulieferern auf Motor und Getriebe, 40 Prozent auf Karosserie und andere Systemkomponenten. Allerdings zeigt sich, dass die Auftragseingänge im Bereich Powertrain aktuell deutlich an Volumen verlieren.
Unstrittig ist nach wie vor, dass der Übergang zu neuen Antriebstechnologien ein langer Prozess ist. Die VDMA-Studie „Antrieb im Wandel“ ergab auch bei der jüngsten Aktualisierung, dass bis 2030 gut 20 Prozent der Fahrzeuge bezogen auf die Neuzulassungen in Europa, den USA und China voll elektrifiziert sein werden. Die drei Regionen bilden etwa die Hälfte des internationalen Automobilmarktes ab. Das Ergebnis bedeutet 64 Prozent weniger Wertschöpfung im Fertigungsprozess beim reinen Elektroantrieb, jedoch fast ein Viertel Zuwachs in der Wertschöpfung beim Hybridantrieb.
Daraus ergeben sich auch neue Chancen für die Werkzeugmaschinenindustrie, beispielsweise in der Herstellung von Komponenten für Elektromotoren, der Fertigung von Komponenten im Batterie Stack oder der Hochleistungselektronik.
„Dass der Absatz batterieelektrischer Autos in China und den USA ins Stocken geraten ist, die chinesische Regierung ihre Förderung eingestellt hat und Elektrofahrzeuge trotz finanzieller Unterstützung in Deutschland kaum gekauft werden, lässt allerdings begründete Zweifel zu, ob die Konzentration auf eine einzige Technologie den richtigen Weg markiert“, gibt Prokop zu bedenken. Er erneuert die Forderung, sich keiner neuen Technologie per se zu verschließen und ergänzt: „Unser Anliegen muss es sein, immer wieder darauf zu dringen, dass alle Umbaumaßnahmen mit marktwirtschaftlich basierten Instrumenten gesteuert werden und die besten CO2-Vermeidungsoptionen technologieneutral zu suchen sind.“
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