Schutzvorrichtungen bei Schleifmaschinen überdimensioniert?
Trennende Schutzeinrichtungen bei Schleifmaschinen sind besonders relevant für die Sicherheit der Mitarbeiter. Zwar kommt es nicht oft vor, dass eine Schleifscheibe birst, doch wenn das passiert, sind die Verletzungsgefahren für Maschinenbediener enorm. Neuere Studien legen jedoch nahe, dass die bislang üblichen Umhausungen beispielsweise für Verzahnungsschleifmaschinen überdimensioniert sein könnten. Nach Untersuchungen unter anderem des VDW und des Instituts für Werkzeugmaschinen und Fabrikbetrieb (IWF) der TU Berlin sind je nach Schleifscheibenbreite bis zu 70 Prozent dünnere trennende Schutzeinrichtungen möglich. Diese Erkenntnisse sorgen nun für Bewegung bei der ISO-Normierung.
Überdimensionierte Schutztüren bald Vergangenheit?
Die Mindestwanddicken für trennende Schutzeinrichtungen sind in der ISO-Norm 16089 „Werkzeugmaschinen – Sicherheit – Ortsfeste Schleifmaschinen“ vorgeschrieben. Dabei werden beispielsweise für Verzahnungsschleifmaschinen die Vorschriften für Primärschutzhauben direkt auf die weiter entfernt liegenden Vollumhausungen skaliert. Der Grund: Für Verzahnungsschleifmaschinen, die üblicherweise keine Primärschutzhaube besitzen, fehlten hier zunächst spezifische Sicherheitsvorkehrungen für die Schutzumhausung. Das liegt daran, dass in der Vorgängernorm EN 13218 „Sicherheit von Werkzeugmaschinen – Stationäre Schleifmaschinen“ Verzahnungsschleifmaschinen nicht ausdrücklich enthalten waren. Doch diese Skalierung wurde wiederholt in Frage gestellt, auch vom japanischen Verband JMTBA, weil dadurch die Schutztüren und Sichtschutzscheiben aus Polycarbonat überdimensioniert würden.
Deutliche Vereinfachungen sind möglich
Die Mitgliedsfirmen des VDW-Arbeitskreises 5, der sich um die Sicherheit von Werkzeugmaschinenkomponenten kümmert, kamen daher zu dem Schluss, dass für die Dimensionierung der Vollumhausung von ortsfesten Schleifmaschinen neue Auslegungstabellen erforderlich seien. Am IWF der TU Berlin wurde deswegen im Jahre 2012 ein zweijähriges Projekt gestartet, in dem erst einmal die nötige Versuchsausrüstung entwickelt wurde. „In den folgenden Berst- und Aufprallversuchen zeigte sich, dass je nach Schleifkörperbreite maximal 70 Prozent der Wanddicke von Umhausungen eingespart werden können“, resümiert Simon Thom, Gruppenleiter Werkzeugmaschinentechnologie am IWF der TU Berlin. „Das ist für Werkzeugmaschinenhersteller, die beim Bau der Maschinen mit deren Gewicht zu kämpfen haben, eine große Erleichterung. Eine um einen halben Millimeter dünnere Stahlblechumhausung zum Beispiel spart 4 kg/m2 an Gewicht.“ Das hat auch indirekte Einsparungen zur Folge, weil Motoren, die die leichteren Stahltüren öffnen und schließen, ebenfalls weniger stark ausfallen müssen oder ganz unnötig werden.
Einigkeit unter verschiedenen Partnern
Nicht nur Industrie und Wissenschaft sind sich einig, dass Schutzvorrichtungen bei den genannten Maschinen überdimensioniert sind – auch die Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung (DGVU) in St. Augustin und die Berufsgenossenschaft Holz und Metall (BGHM) in Hannover führten ähnlich ausgerichtete Versuche an einem Berstversuchsstand durch – mit ähnlichen Ergebnissen. Ende 2019 legte die BGHM ihren Bericht der über acht Jahre laufenden Berstversuche mit insgesamt mehr als 400 geborstenen Schleifkörpern und über 800 verwertbaren Aufprallereignissen vor. Daraus konnte gemeinsam mit dem VDW eine sichere Auslegungskonvention für 3 mm Stahlblech bei unterschiedlichen Schleifkörperbreiten gewonnen werden (vgl. Bild 2).
Die Zusammenlegung der Ergebnisse innerhalb Deutschlands war nicht zuletzt motiviert durch vergleichbare Untersuchungen im Ausland. Der japanische Verband JMTBA hatte Versuche vorgenommen, die darauf hinwiesen, dass die bisherigen Normvorgaben der ISO 16089 teilweise um bis zu 30 Prozent reduziert werden können.
Im Januar 2020 schließlich fand eine Normungssitzung in Tokio statt, bei der die japanischen mit den deutschen Erkenntnissen verglichen wurden. Die Experten einigten sich darauf, dass die japanischen Ergebnisse für die Anpassung der Auslegungstabellen der Primärschutzhaube und die deutschen Ergebnisse für die Auslegung der Vollumhausung in die ISO-Norm eingearbeitet werden sollen. In Kürze wird vom ISO-Sekretariat beim DIN in Berlin ein konsolidiertes Arbeitspapier erstellt und als so genanntes „Committee Draft“ zur Kommentierung an die interessierte Öffentlichkeit gegeben wird. Dies soll bis Oktober 2020 abgeschlossen sein.
Weitere Untersuchungen laufen
Dennoch werden die bisherigen Studienergebnisse zu Vollumhausungen in dem Projekt 20438 „Sicher dimensionierte Maschinenumhausung“ der Industriellen Gemeinschaftsforschung (IGF) noch empirisch und theoretisch untermauert (vgl. Bild 3). „Dabei nutzen wir auch Simulationen, um den Worst Case darzustellen. Der tritt dann ein – das haben unsere Berstversuche gezeigt –, wenn das Bruchstück mit seiner äußeren Kante auf die Schutzeinrichtung trifft. Dieses Aufprallsetting können wir in Modellen mit unterschiedlichen Werkstoffen, Schleifscheibenbreiten und Dicken des Stahlblechs der Schutzeinrichtung abbilden. So vereinfachen wir die extrem aufwändigen Berstversuche“, berichtet Thom. „Unser Plan für dieses Jahr ist, noch einfachere Dimensionierungsverfahren vorzuschlagen.“ Die verringerten Mindestwanddicken, die nun in der ISO-Norm festgelegt werden sollen, könnten also aufgrund der weiteren Versuchsergebnisse nochmals reduziert werden.
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