Digital und nachhaltig zugleich – geht das?
Industrielle Prozesse sind entweder digital oder nachhaltig – das zumindest denkt so mancher, der sich mit dem Thema noch nicht auseinandergesetzt hat. Doch das VDMA-Technologieforum auf der EMO Hannover beweist das Gegenteil: Sinnvoll und clever angewandt, kann Digitalisierung die Nachhaltigkeit sogar steigern. Es kommen vier Firmen zu Wort, die mit ihren digitalen Lösungen dazu beitragen, dass Werkzeuge nachhaltiger hergestellt werden oder dass sich mit ihnen nachhaltiger zerspanen lässt.
Smart Service ist für Konrad Keck, Vertriebsleiter DACH der Benz GmbH Werkzeugsysteme aus Haslach im Kinzigtal (bei Offenburg) das Zauberwort, um Dienstleistungen und Produkte reif für Industrie 4.0 (IoT-ready) zu machen. Darunter verstehen die Badener ein Gesamtservice-Konzept, bei dem immer mehr digitale Informationen etwa von Sensoren zur vorbeugenden Service-Abwicklung beitragen.
Energy Harvesting versorgt Sensoren mit Strom
Manchmal steckt der technische Teufel dabei im Detail: So verbrauchen Sensoren oft zusätzliche Energie. Keck nennt die Alternative: „Bei rotierenden Werkzeugen wird die Energie für das Sensorsystem mittels Energy Harvesting erzeugt und somit weitestgehend auf Batterielösungen verzichtet.“ Anwender von Energy Harvesting „ernten“ elektrische Energie aus Quellen wie Umgebungstemperatur, Vibrationen oder Luftströmungen, um so mobile Geräte oder Elektronik mit geringer Leistung zu versorgen.
Der Effekt der Nachhaltigkeit liege beim so genannten Smart Service jedoch darin, dass die Werkzeuge durch vorbeugende Wartungsintervalle länger halten. Wenn künftig Produkte dank Digitalisierung ihren Zustand kennen, lassen sich mit diesen Kennwerten Regelkreise aufsetzen, die die Standzeit der Werkzeuge erhöhen. Wie sich die Digitalisierung in der Praxis auf Anwendungen auswirkt, demonstrieren die Badener in Hannover unter anderem an dem neu entwickelten Spindelreihenmagazin Benz Hybrix und der Stoßaggregate-Familie LinA, die nun IoT-ready sei.
Auf der EMO Hannover 2019 präsentiert Daniel Meuris, Leiter Digitalisierung und Virtualisierung beim Werkzeugmaschinenhersteller Klingelnberg GmbH, Hückeswagen, die Plattform GearEngine für die Verzahnungsproduktion. Sie dient als zentrale Sammelstelle von Produktionsdaten und Schnittstelle zwischen Produktions- und Unternehmensebene. Die Plattform erlaubt es dem Betreiber von Klingelnberg-Werkzeugmaschinen, softwarebasierte Datendienste auf einfache Art und Weise einzusetzen.
Software-Tool erhöht die Werkzeugeffizienz
Als Schlüssel zur nachhaltigen Zerspanung bezeichnet Meuris die Werkzeugeffizienz. Ein Beispiel ist die Kegelradfertigung, bei der sich die Effizienz bisher wegen der dort eingesetzten Spezialwerkzeuge und mangelnder Daten nicht analysieren ließ. Das neue SmartTooling-System von Klingelnberg kann dagegen Werkzeuge und Vorrichtungen für Kegelrad-Fräsmaschinen mit Hilfe von Data Matrix Codes identifizieren und in einer Datenbank zentral verwalten. Meuris: „Die Produktionsmittel werden durch einen digitalen Zwilling beliebig genau beschrieben und liegen in einer zentralen Datenbank vor, die während und nach der Verzahnung mit Produktionsdaten erweitert wird.“ Wie das in der Praxis funktioniert, führt Klingelnberg in Hannover beim Einsatz an der Maschine vor.
Wie sich mit Werkzeugdaten die Fertigung optimieren lässt, beschreibt Dr. Raphael Rohde, Mitarbeiter im Technology Development der Business Unit Tools and Parts der Phoenix Contact GmbH & Co. KG, Blomberg, auf dem Technologieforum der EMO Hannover. Der Hersteller von Verbindungs- und Automatisierungstechnik vernetzt seine Spritzgießwerkzeuge mit Hilfe der Datenerfassung über RFID-Technologie sowie optische Marker. „Die Herstellungs- sowie Produktionsinformationen sind stets und umfassend verfügbar“, erklärt Rohde. „Dem Mitarbeiter und dem Kunden werden die Daten benutzerspezifisch in Form von Visualisierungsboards oder durch die Verwendung von Augmented Reality zielorientiert aufbereitet zur Verfügung gestellt. Fehlleistungen durch falsche Interpretation bzw. Folgefehler können auf diese Weise auf ein Minimum reduziert werden und tragen so zur Nachhaltigkeit in der Produktion bei.“
Messtechnik unterstützt die digitale Transformation
Die Messtechnik zieht wegen der Digitalisierung der Industrie näher an oder in die Produktion, beobachtet Prof. Heiko Wenzel-Schinzer, Geschäftsführer und Chief Digital Officer der Wenzel Group GmbH & Co. KG in Wiesthal: „Wir messen mehr, durch optische Lösungen, 5-Achsmesskopf oder spezielle Messmaschinen schneller und geben dank geschlossener Regelkreise direktes Feedback an die Bearbeitungsmaschinen.“ Wenn die Messtechnik aber in die Fertigung wandere, sei es unabdingbar, dass die Ausfallzeiten gegen Null gehen. Daher biete der Messtechnik-Produzent zusätzliche Lösungen an, um Probleme an den Maschinen bereits sehr frühzeitig zu entdecken und zu korrigieren. Das erhöht die Lebensdauer und Nachhaltigkeit der Produktionstechnik.
Aber auch die Messmaschinen von Wenzel seien für extrem lange Nutzlaufzeiten ausgelegt. „Auf diesem Fundament setzen wir moderne Messtechnik ein, die immer wieder modernisiert werden kann, ohne dass die komplette Maschine ausgetauscht werden muss“, erklärt der Geschäftsführer. „Der geschlossene Regelkreis zwischen Messtechnik und Bearbeitungsmaschinen reduziert Ausschuss, da wir – Stichwort Prozessüberwachung – sehr frühzeitig Rückmeldungen über Fertigungsprobleme geben können.“ Wie unter diesen Aspekten das Zusammenspiel der Fertigung mit neuer Messtechnik – vom portablen Messarm bis hin zur Highspeed-Scanning-Maschine – funktioniert, zeigt die Wenzel Group Besuchern der EMO Hannover an ihrem Stand.
Mehr über Nachhaltigkeit und Digitalisierung in der Produktion erfahren Interessenten auf dem Technologieforum der VDMA-Fachverbände Präzisionswerkzeuge sowie Mess- und Prüftechnik in Halle 4, Stand D39.
Autor: Nikolaus Fecht, Journalist aus Gelsenkirchen
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