Frau Kluckert, die Vorstellungen über künstliche Intelligenz gehen weit auseinander. An welcher Stelle setzt die Enquete-Kommission Künstliche Intelligenz an und wie ist sie aufgebaut?

Zunächst einmal bildet die Enquete-Kommission die im Bundestag vertretenen Interessen ab. Da stehen auf der einen Seite Zweifler, die regulatorisch sicherstellen wollen, dass die Entwicklung gestoppt wird und alles so bleibt, wie es ist. Auf der anderen Seite stehen zukunftsgewandte Akteure, die in künstlicher Intelligenz eine große Chance sehen, drängende Fragen unserer Zeit zu beantworten. Als Fraktion sind wir mit zwei Abgeordneten vertreten und haben mit Andrea Martin von IBM und Dr. Aljoscha Burchardt vom DFKI zwei externe Experten berufen. Wir möchten uns so aufstellen, dass wir die Chancen der künstlichen Intelligenz bestmöglich nutzen können. Für uns hier in Deutschland, aber auch für die großen Themen der Welt wie die Zurückdrängung des Klimawandels, die Bekämpfung des Hungers oder die Schaffung von Bildungsmöglichkeiten für alle.

Welchen Zugang haben Sie zu den Themen Verkehr und Digitalisierung?

Ausgehend von meinem beruflichen Hintergrund, finde ich mich inhaltlich gut zurecht. Außerdem setze ich mich gerne mit Mobilität, Zukunft und Technik auseinander. Ich bin davon überzeugt, dass Technologie zum Leben in Deutschland gehört, uns zu vielen Dingen befähigt und einen Beitrag leistet, die großen Herausforderungen unserer Zeit – einige habe ich gerade angesprochen – zu bewältigen. Auch unseren Wirtschaftsstandort werden wir nur mit einer zukunftsgerichteten Mobilitätspolitik fit für die Zukunft machen können.

Welche Erwartungen stellen sich an die Arbeit der Enquete-Kommission?

Der Bundestag erwartet von uns Empfehlungen, wie Bundestag und Bundesregierung zukünftig mit künstlicher Intelligenz umgehen sollen. Als Fraktion erwarten wir ein positives, zukunftsgerichtetes Vorgehen, das die öffentliche Aufmerksamkeit auf das Thema künstliche Intelligenz lenkt. Ich sehe es als Teil unserer Arbeit, künstliche Intelligenz zu erklären und Ängste zu nehmen: wir sollten weniger an böse Roboter denken, die Menschen unterdrücken, als an Maschinen, die unsere Arbeit erleichtern und unsere Produktivität steigern.

Hätte das nicht schon vor Jahren passieren müssen?

Ich glaube nicht, dass es zu spät ist. Aber sicher hinken wir dem Thema künstliche Intelligenz ein bisschen hinterher, unsere Nachbarländer sind schon ein gutes Stück weiter. Auch deshalb ist es höchste Zeit für eine Auseinandersetzung auf breiter Basis.

Die Europäische Union berief kürzlich eine 52-köpfige Expertengruppe ein, die die Entwicklung einer KI-Strategie voranbringen soll. Warum erfolgt die Auseinandersetzung auf zwei Ebenen?

Wir müssen diese Debatte erst einmal in Deutschland führen, um herauszufinden, was wir konkret wollen. Haben wir uns eine eigene Meinung gebildet, können wir sie nach Brüssel tragen und dort einfließen lassen. Überspringen wir diesen Schritt im eigenen Land, passiert das, was wir z.B. bei der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) gesehen haben: wir erhalten eine Regulierung, von der niemand weiß, was sie eigentlich bedeutet.

Die Enquete-Kommission Internet und digitale Gesellschaft füllte 2.000 Seiten Papier, doch umgesetzt wurde von ihren Vorschlägen wenig. Wie haben Sie sich aufgestellt, um einen Fehlschlag zu vermeiden?

Ich hoffe schon, dass am Ende gute Handlungsempfehlungen stehen werden, die auch Gesetzeskraft erlangen. Doch die Gefahr des Scheiterns besteht, das ist uns allen bewusst. Deshalb haben wir auch sehr konkrete Vorschläge zur Organisation der Arbeitsgruppen gemacht, um Realitätsnähe zu bewahren und einem Zerfasern vorzubeugen. Ethik sollte z.B. nicht abstrakt besprochen werden, sondern immer konkret am jeweiligen Thema – etwa Ethik und künstliche Intelligenz in der Mobilität.

In welche Richtung könnten die Handlungsempfehlungen gehen?

Statt Regelungen einzuführen, die künstliche Intelligenz so stark beschränken, dass Unternehmen sie kaum noch sinnvoll einsetzen können, sehen wir den Fokus z.B. eher bei der Frage: Welche Chancen bietet künstliche Intelligenz Arbeitnehmern?

Sie haben die Themen Gesundheit, Ethik, Hunger, Klimawandel angesprochen. Die berufenen Experten sind hauptsächlich Mathematiker, Informatiker oder Wissenschaftler. Müssen Unternehmen – nicht zuletzt aus dem Maschinen- und Anlagenbau – befürchten, von der Enquete-Kommission vergessen zu werden?

Als Vorsitzende der Arbeitsgruppe Mobilität und Umwelt kann ich sagen, dass wir sie nicht vergessen werden. Wir werden Wege finden, die Expertise gerade deutscher Unternehmen einfließen zu lassen.

Welche Möglichkeiten bestehen z.B. für Werkzeugmaschinenhersteller, ihr Know-how einzubringen?

In der Enquete-Kommission gibt es Arbeitsgruppen wie Mobilität und Umwelt, in die wir Experten zu Anhörungen einladen können. Ansonsten besteht natürlich immer die Möglichkeit, auf die Abgeordneten zuzugehen und direkt ins Gespräch zu kommen. Da ist über die berufenen Experten hinaus sehr viel möglich und auch erwünscht.

Wie sollte das Vorgehen idealerweise aussehen?

Sinnvoll ist es, direkt auf Mitglieder der Enquete-Kommission zuzugehen und sich schon vorher zu überlegen, welche Wünsche und Erwartungen bestehen. Ich gehe z.B. davon aus, dass die Interessen Ihrer Mitglieder beim VDW bei künstlicher Intelligenz sehr ähnlich gelagert sind – da bietet Ihr Verband eine gute Plattform, mehrere Unternehmen an einen Tisch zu bekommen und gemeinsame Positionen in einem Standpunktpapier zusammenzuführen. Es wäre jedenfalls klug, in einer konsolidierten Form an die Politik heranzutreten.

Sie haben die DSGVO angesprochen, die mittelständische Betriebe 2018 vor enorme Probleme stellte. Droht ein solches Szenario auch in der künstlichen Intelligenz, deren Funktionieren eng mit dem Erheben und Verarbeiten von Daten zusammenhängt?

Das kann drohen, ja. Und gerade deshalb ist es auch so wichtig, frühzeitig gegenzusteuern und nicht leise aufzutreten, sondern laut zu sein. Klar ist, dass wir den traditionell gewachsenen Datenschutz in Europa nicht aushebeln werden. Zwei Ansätze halte ich daher für wichtig: erstens die Not zur Tugend machen und das Prinzip der Datensparsamkeit als Anreiz verstehen, neue Verfahren zu entwickeln, die weniger Daten benötigen. Das erwarte ich von der Industrie. Zweitens eine Debatte über Daten führen und klare Abgrenzungen schaffen, was genau z.B. personalisierte Daten kennzeichnet und ab wann sie ausreichend abstrakt sind, um für die Gemeinschaft nutzbar zu sein. Das ist meine Erwartung an die Bundesregierung und die Koalitionspartner, da ist in den vergangenen Jahren viel zu wenig passiert.

Wie können wir sicherstellen, dass es für neue KI-Anwendungen ausreichend Fachkräfte geben wird?

Zunächst stehen Unternehmen in der Pflicht, ihre Mitarbeiter zu qualifizieren und produktiver zu machen. Das liegt ohnehin im Interesse jedes Unternehmens. Daneben gibt es aber Aufgaben, die staatlich zu bewältigen sind. Wir dürfen jungen Menschen nicht länger die Illusion lassen, dass Arbeit in zehn Jahren noch genauso aussehen wird, wie sie sich das heute vorstellen. Arbeit steckt in einem stetigen Wandel, der immer wieder neue Qualifikationen erfordert. Diesen Wandel müssen wir stärker unterstützen, z.B. mit einem BaföG, das nicht mehr nach der ersten Ausbildung endet, sondern auch für Bürger im mittleren Lebensalter offensteht.

Ohne Digitalisierung wird der Einsatz künstlicher Intelligenz schwierig werden, doch weist Deutschland gerade in der Fläche Nachholbedarf auf. Welche Hausaufgaben sind noch zu erledigen, damit künstliche Intelligenz in Deutschland auch wirklich eine Chance hat?

Da gibt es noch viele offene Baustellen. Erstens müssen wir den Ausbau bei Mobilfunk und Breitband voranbringen und beide Aspekte stärker zusammen denken. Zweitens müssen wir uns Gedanken über günstige Verlegetechniken machen und sollten Unternehmen schneller ausbauen können, wenn sie einen aktiven Bedarf haben. Drittens müssen wir die gesamte Förderkulisse überarbeiten und dürfen nicht die Augen davor verschließen, wie viel Geld wir ausgeben, ohne dass sich an der Situation etwas ändert. Da sollten wir auch einen Blick auf die Vergaberichtlinien der anstehenden Frequenzversteigerungen werfen. Es muss erlaubt sein, auch außer der Reihe zu denken: Warum geben wir die Frequenzen nicht kostenfrei an die Unternehmen ab und verlangen dafür einen flächendeckenden Ausbau der Infrastruktur in kürzester Zeit? Die Betreiber sollten Kapital für den Ausbau dieser so notwendigen Infrastruktur einsetzen, statt es zuerst dem Staat zu geben – diese rechte Tasche, linke Tasche Politik führt zu nichts.

Wie passt das zur Aussage der Bundesforschungsministerin Anja Karliczek, 5G sei „nicht an jeder Milchkanne notwendig“?

Diese Aussage war völlig verrückt. Selbstverständlich brauchen wir 5G an jeder Milchkanne, wenn wir die ländlichen Räume nicht aufgeben wollen. Unser Anspruch als Technologiestandort muss es doch sein, bei dieser Technik ganz vorne dabei zu sein. Auch weil von der Landwirtschaft über die über das autonome Fahren bis hin zur Telemedizin zunehmend viele Bereiche eine digitale Anbindung erfordern.

Enquete-Kommission Künstliche Intelligenz

Im Herbst 2018 hat der Deutsche Bundestag die Enquete-Kommission Künstliche Intelligenz (KI) eingesetzt. Sie besteht zu gleichen Teilen aus Abgeordneten der im Bundestag vertretenen Fraktionen sowie aus Experten, die von den Fraktionen berufen wurden. Die Kommission hat den Auftrag, den zukünftigen Einfluss der KI auf das gesellschaftliche Zusammenleben, die deutsche Wirtschaft und die zukünftige Arbeitswelt zu untersuchen.

Daniela Kluckert MdB

Daniela Kluckert war bis 2017 Ministerialreferentin bei der Sächsischen Landesvertretung in Berlin und dort zuständig für Verkehr und digitale Agenda. Kluckert wurde als Vertreterin der FDP-Bundestagsfraktion in die Enquete-Kommission KI entsendet, ist zudem stellvertretende Vorsitzende des Verkehrsausschusses und Vorsitzende der Arbeitsgruppe KI in Mobilität & Umwelt.

Autor: Stefan Schwaneck, VDW

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