Der Laser bedroht uns „Schleifer“ nicht
Der frühe Vogel fängt den Wurm: Auf Prof. Dirk Biermann, den Leiter des Instituts für Spanende Fertigung (ISF) an der Technischen Universität Dortmund, trifft diese Volksweisheit zu. Obwohl die neue Messe GrindingHub von Messe Stuttgart, Swissmem und VDW erst im Mai 2022 stattfindet, sagte der bekannte Schleifexperte und WGP-Wissenschaftler (Wissenschaftliche Gesellschaft für Produktionstechnik) sofort seine Unterstützung zu. Details nannte der ISF-Chef im Interview.
GrindingHub bietet Expertenwissen auf dem ISF-Schleifseminar
Herr Professor Biermann, wenn die GrindingHub in Stuttgart das Licht der Welt erblickt, feiert das ISF in Dortmund sein 50-Jähriges. Wie hat sich aus Ihrer Sicht als früherem Motorenentwickler und heutigem Institutsleiter das Schleifen in dieser Zeit verändert?
Dirk Biermann: Es ging früher recht rustikal zu. Mittlerweile sind wir mit Blick auf Präzision und Oberflächenqualität in damals nicht realisierbare sub-µm-Bereiche vorgestoßen. Das ging aber nicht zu Lasten der Produktivität, die sich gleichzeitig auch erhöht hat.
Im Kommen sind neue Verfahren wie das Laserpolieren: Was spricht für sie, wo ist das Schleifen weiterhin gefragt?
Dirk Biermann: Ich sehe das Laserpolieren primär als Ergänzung. Die relativ junge Technologie hat schon Nischen erobert wie etwa in der Kunststoff- und Medizintechnik. Es gibt bereits einige interessante Lösungen, doch das Laserpolieren deckt längst nicht alle Anwendungen etwa im Bereich des Schleifens und Finishens ab. Hinzu kommt, dass der Einstieg noch verhältnismäßig teuer ist.
Welche Herausforderungen stellen neue Antriebskonzepte wie die Elektromobilität an das Schleifen?
Dirk Biermann: Dieser Trend erhöht die Anforderungen an das Schleifen. Bisher hat der Verbrennungsmotor die Geräusche zum Beispiel von Lagern, Zahnrädern oder Getrieben überdeckt. Besonders herausfordernd ist jedoch die Bearbeitung von Gehäusen, die durch integrierte Antriebssysteme in Kombination mit Leichtbaulösungen in Elektrofahrzeugen strukturbedingt leicht in Schwingung geraten. Daher sind spezielle Lösungen erforderlich, um die geforderten engen Toleranzen sicher einzuhalten.
Sie sprechen die hör- oder spürbaren Schwingungen in Kraftfahrzeugen an, die in erheblichem Maße von neuen, leichten Werkstoffen beeinflusst werden. Wie reagiert die Schleiftechnologie zum Beispiel auf neue Verbundwerkstoffe?
Dirk Biermann: Etwa bei den Carbonfaserkunststoffen, kurz CFK, sehe ich tolle Chancen für das Schleifen. Viele Anwender bearbeiten CFK ja noch mit Werkzeugen mit geometrisch bestimmter Schneide. Doch der Verschleiß fällt hier beim Bohren und Fräsen hoch aus. Das Institut für Spanende Fertigung hat als Alternative ein deutlich wirtschaftlicheres Diamantschleifverfahren entwickelt. Ich gehe davon aus, dass das Interesse daran mit wachsender Anzahl an CFK-Verarbeitungen zunehmen wird.
Stichwort 3D-Druck: Brauchen wir neue Schleiftechnologien, um additiv gefertigte Bauteile zu bearbeiten?
Dirk Biermann: Ja, hier sind maßgeschneiderte, angepasste Lösungen gefragt: Neue Prozesse sind ideal geeignet, um hohe Endqualität zu erreichen. In dem EU-Projekt „Advanced Processing of Additively Manufactured Parts“ – kurz Ad-Proc-Add – erforscht ein internationales Netzwerk neue Prozesse zum Bearbeiten von additiv gefertigten Bauteilen. Es geht dort innerhalb der Fertigungskette von additiv hergestellten Stahlwerkstoffen unter anderem um die Wechselwirkungen mit spanender Nachbearbeitung. Das ISF kümmert sich um die Themen Schleifen, Nassstrahlspanen und Microfinishen.
Wie ist der Stand der Dinge beim abrasiven Nass-Strahlspanverfahren? Sie treiben es gemeinsam mit der Schweizer Nicolis Technology AG für die gezielte Schneidkantenpräparation voran.
Dirk Biermann: Wir setzen einen Knickarm-Roboter ein, der die Schleifwerkzeuge hält, um prozesssicher und reproduzierbar anspruchsvolle Werkzeuge wie Bohrer oder Schaftfräser zu bearbeiten. Das gelingt mittlerweile so gut, dass sich damit sogar unsymmetrische Schneidkanten bei Bohr- und Fräswerkzeugen herstellen lassen.
Schneidkanten-Bearbeitung zählt ja generell zu den Stärken des Schleifens: Welche weiteren Entwicklungen gibt es dazu am ISF?
Dirk Biermann: Ein Team unter Dr. Timo Bathe und Alexander Ott hat das Verfahren [Tool]Prep entwickelt, mit dem sich Werkzeugschneidkanten an die jeweiligen Einsatzbedingungen anpassen lassen. Die beiden ISF-Wissenschaftler haben sich mit einem Start-up selbstständig gemacht, um diese Art der Schneidkantenpräparation weiterzuentwickeln und zu vermarkten. Das Besondere: [Tool]Prep bietet jedem Werkzeugschleifer eine einfache und reproduzierbare Schneidkantenpräparation auf eigenen Maschinen. Erreicht wird dies mit Hilfe eines austauschbaren Wechselelements innerhalb des Dorns einer modifizierten Schleifscheibenaufnahme.
Warum gibt es am ISF im Rahmen eines eigenen Sonderforschungsbereichs ein Grundlagenprojekt zum Schleifen von inhomogenen mineralischen Untergründen wie Stahlbeton?
Dirk Biermann: Eine große Herausforderung sind die Schwankungen der Prozessbedingungen. So stammen die natürlichen, mineralischen Bestandteile aus unterschiedlichen Regionen – zum Beispiel aus dem Rheingebiet oder dem Schwarzwald. Zum Einsatz kommen hier wie bei vielen metallisch basierten Werkstoffen diamantbeschichtete Werkzeuge, bei denen wir die Form und die Anordnung der Diamantkörner an den jeweiligen Stahlbeton anpassen.
Wie beurteilen Sie den Trend zu additiv beschichteten Schleifwerkzeugen?
Dirk Biermann: Das ist eine hochinteressante Lösung, auf die bereits einige Schleifwerkzeug-Hersteller setzen. Der 3D-Druck bietet hier spannende Möglichkeiten, wie etwa das Drucken von Kanälen für die Kühlschmiermittel-Versorgung.
Was bedeutet für Sie die neue Messe GrindingHub?
Dirk Biermann: Wettbewerb belebt das Messegeschäft. Forscher aus dem Bereich Schleifen wie ich besuchen daher beide Messen, also GrindTec und GrindingHub.
Wo können sich Besucherinnen und Besucher vorher über den neuesten Stand der Schleiftechnik aus wissenschaftlicher Sicht informieren?
Dirk Biermann: Mit dem Dortmunder Schleifseminar 2021 schlagen wir am 29. und 30. September wieder eine Brücke zwischen praxisorientierten Entwicklungen und wissenschaftlichen Ansätzen. Das Know-how dieser Veranstaltung und unsere Expertise nutzen wir, um für die GrindingHub-Besucher im Mai in Stuttgart aktuelle Forschungsergebnisse und relevante Entwicklungen zu präsentieren.
Herr Professor Biermann, ich danke Ihnen für das detailreiche Interview.
Autor: Nikolaus Fecht, freier Fachjournalist, Gelsenkirchen
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