Die Herausforderungen für europäische Fertigungsbetriebe im internationalen Wettbewerb sind vielfältig. Von hohen Energie- und Personalkosten über Fachkräftemangel bis hin zu instabilen Lieferketten für verschiedenste Komponenten reichen die Hürden, die es zu bewältigen gilt – die aber gerade deshalb auch immer wieder zu bemerkenswerten Innovationen führen. Mit dem durchdachten Einsatz von Digitalisierung inklusive künstlicher Intelligenz in Kombination mit Robotik- bzw. Automatisierungslösungen gelingen entscheidende Produktivitätssprünge für eine stabile Wettbewerbsfähigkeit. Topaktuelle Lösungen zeigt die EMO Hannover 2023 als Weltleitmesse für die Produktionstechnologie. Wie die gewinnbringende Verknüpfung der unterschiedlichen Technologien gelingt, zeigen exemplarisch praxisnahe Beispiele aus Industrie und Forschung.

 

Besuchsmagnet und Plattform für den Informationsaustausch

Für die Maschinenfabrik Berthold Hermle AG aus Gosheim ist die EMO Hannover die internationale Maschinenbau-Messe 2023. Die Schwerpunktthemen generell und insbesondere bei Hermle sind Digitalisierung und Automation. „Bei allen Trendthemen halten wir uns da sehr nah an unsere Kunden, die mit unterschiedlichsten Anforderungen auf uns zukommen“, berichtet Udo Hipp, Leiter Marketing. „Gerade in unseren Wachstumsbranchen mit hohem Automationsanteil werden wir mit dem Thema Industrie 4.0 und der Digitalisierung unserer Produkte stark konfrontiert. Lösungen bieten wir hier mit unseren digitalen Bausteinen wie Digital Production, Digital Service und Digital Operation.“ Dabei greift jeder Baustein in den anderen. So stehen beim Baustein Digital Operation das Maschinen Tuning mit einer dynamischen Anpassung der Reglerparameter und intelligente Bearbeitungssetups zur Verfügung. Der Baustein Digital Production bietet verschiedene Tool- und Informationsmanagement- sowie Automation-Control-Systeme. Der Baustein Digital Service umfasst Fernwartung, Diagnose- und Monitoringsysteme.

„Das ist ein ganzes Bündel an Digitalisierungskomponenten, die wir unseren Kunden zur Verfügung stellen können“, sagt Hipp. „Auf der EMO Hannover 2023 werden wir mehrere Lösungen aus dem Bereich der Automatisierung (Roboter- und Handlingsysteme) – adaptiert an unsere Bearbeitungszentren – und auch der permanenten Digitalisierung aufzeigen. Wichtig ist uns die einfache Integration von Automationslösungen in Bereiche und Branchen, die sich bisher noch wenig um diese Prozesse kümmern oder Gedanken machen. Gerade der allseits thematisierte Fachkräftemangel zwingt uns und unsere Kunden zu Investitionen in ausgeklügelte Automationslösungen, kombiniert mit hocheffizienten Bearbeitungszentren – und das am besten alles aus einer Hand. Von der EMO Hannover 2023 wünschen wir uns eine hohe und qualifizierte Besucherfrequenz, einen intensiven Informationsaustausch und eine Plattform für neue Projekte.“

 

Flexibel automatisiert beladen

Die Fertigungsindustrie, speziell die Zerspanung, sieht sich derzeit vor allem mit sinkenden Losgrößen bei steigender Teilevarianz konfrontiert. Verschärft wird diese Situation noch einmal durch den allseitigen Fachkräftemangel. Unternehmen müssen daher ihre Maschinen mit möglichst langen Laufzeiten zu betreiben. Ein Lösungsansatz des Automatisierungsexperten Schunk GmbH & Co. KG mit Hauptsitz in Lauffen am Neckar ist das automatisierte Palettenhandling, mit dem sich Anlagen auch in der Kleinserien- und Einzelteilfertigung personenarm rund um die Uhr beladen lassen.

Das System besteht aus Palettiermodul und Roboterkupplung für die automatisierte Beladung. Dabei werden die Werkstücke und Spannvorrichtungen auf Spannpaletten gerüstet, magaziniert und aus dem Palettenmagazin sukzessive auf das Bearbeitungszentrum eingewechselt. An der Unterseite verfügen die Paletten über eine einheitliche Schnittstelle zum Nullpunktspannsystem. Vergleichbar mit einem Adapter verbinden sie die Maschine mit unterschiedlichsten Werkstücken. Die Palettensysteme besitzen zusätzlich eine seitliche Schnittstelle, sodass sich die Paletten prozessstabil mit einem Roboter oder Portal verbinden lassen. Für das automatisierte Spannen von Werkstücken in der Maschine entwickelten die Süddeutschen eine neue Kraftspannblockgeneration. „Der Roboter mit Schunk-Greifer kann die Zentrischspanner dann unmittelbar mit Werkstücken be- und entladen“, erläutert Markus Michelberger, Head of Sales Clamping Technology am Betriebsstandort in Mengen. „Auf der EMO Hannover werden wir weitere Automations- und Digitalisierungsmöglichkeiten in der zerspanenden Bearbeitung sowie Neuentwicklungen im Bereich nachhaltiger, ressourcenschonender Spannmittel zeigen.“

 

KI meets Digital Twin

Ausfälle von Vorschubantrieben sind zwar selten, verursachen in der Produktion aber hohe Kosten. Daher erforscht das iwb im Projekt Kidz wie sich Predictive Maintenance durch eine Kombination von Algorithmen und klassischen Werkzeugmaschinenmodellen sogar bei nur wenigen verfügbaren Ausfallbeobachtungen umsetzen lässt. Hintergrund ist, dass Vorschubantriebe einen erheblichen Einfluss auf die Produktivität von Werkzeugmaschinen haben: Einerseits sind deren Ausfälle in der Reparatur zeitaufwändig und kostenintensiv. Andererseits beeinflussen sie maßgeblich die Maschinendynamik und damit das erreichbare Zeitspanvolumen. Der Umstieg auf eine vorausschauende Instandhaltungsstrategie bietet daher großes wirtschaftliches Potenzial. Ein ganzheitliches System, das nur mithilfe bereits existierender Sensoren den Zustand von Vorschubantriebskomponenten produzierender Werkzeugmaschinen überwacht und prognostiziert, existiert bisher allerdings noch nicht.

 

Das Projekt Kidz erforscht daher ein hybrides System für Predictive Maintenance: Es kombiniert einen digitalen Zwilling mit modernen KI-Methoden. „Im Gegensatz zu rein datengetriebenen Ansätzen kommt das hybride System mit wesentlich weniger Trainingsdaten in Form von Ausfallbeobachtungen aus, die im Fall von Werkzeugmaschinen schwierig zu beschaffen sind“, hebt Michael Zäh, Professor für Werkzeugmaschinen und Fertigungstechnik am iwb der TU München, einen wesentlichen Aspekt hervor. „Gleichzeitig gestattet dieser Ansatz eine gewisse Interpretierbarkeit seiner Vorhersagen, da über den digitalen Zwilling Verschleiß nicht nur global erkannt, sondern auch bestimmten Vorschubantriebskomponenten zugeordnet werden kann.“ Dabei soll – soweit möglich – auf externe Zusatzsensorik verzichtet und nur mit internen Signalen gearbeitet werden. Am Projekt beteiligt ist die Grenzebach Maschinenbau GmbH aus Asbach-Bäumenheim, mit deren Maschine am Projektende die Funktionsfähigkeit demonstriert werden soll. „Die EMO Hannover 2023 bietet eine ausgezeichnete Plattform für den internationalen Austausch der verschiedenen technischen Aspekte für optimale Lösungen“, finalisiert Professor Michael Zäh.

 

Innovationen und internationale Kontakte

„Die EMO Hannover – das ist ‚die‘ Plattform für Innovationen schlechthin“, sagt auch Stefan Raff, Head of Sales Robomachines bei der Fanuc Europe – Fanuc Deutschland GmbH in Neuhausen auf den Fildern. „Da ist es naheliegend, dass Fanuc im Bereich der Robomachines zwei Europa-Premieren mit nach Hannover bringt. Mehr will ich an dieser Stelle noch nicht verraten.“ Insgesamt erfährt der EMO-Auftritt von Fanuc einen Wandel. Anstatt nur die eigenen CNC-Steuerungen und Maschinen in den Mittelpunkt zu rücken, stellt Fanuc den Besucherinnen und Besuchern nun auch „Gesamtpakete“ vor, wie eine Anlage zur Fertigung von Automotive-Teilen. Die Konzeption von Fertigungseinrichtungen ist durch die Anforderungen aus dem Bereich Elektromobilität verändert. So gibt es einen stärkeren Bedarf an flexiblen Fertigungsanlagen. Kriterien wie TCO (Total Cost of Ownership) und ROI (Return on Investment) spielen mehr denn je eine Rolle. „Zudem stellen wir eine weiter wachsende Nachfrage nach Prozesslösungen fest – ein Trend, der sich verstetigt hat“, führt Raff weiter aus. „Das inzwischen in Neuhausen entstandene Europäische Entwicklungszentrum wird die Konzipierung solcher Lösungen nach europäischen Standards stark vorantreiben.“ Das verleiht der Maxime „Fanuc entwickelt auf Basis der Kundenanforderungen“ zusätzlichen Schwung. Ein Beispiel dafür – und stellvertretend für viele andere Lösungen – ist das Entwickeln und Testen von extremen Anwendungen wie beispielsweise Power Skiving auf Fanuc-Maschinen.

 

„Was aus unserer Sicht nicht vergessen werden darf, ist zeitgemäßes Equipment für die Aus- und Weiterbildung“, betont Stefan Raff. „Um den Arbeitskräfte- und Fachpersonalmangel zu bewältigen, braucht es sicherlich Automation – aber auch frühzeitige und umfassende Heranführung von Nachwuchs. Zum ersten Mal zeigt Fanuc auf der EMO daher eine so genannte Education-Zelle mit Maschine, Roboter und komplettem Schulungspaket. Ganz sicher wird die EMO Hannover 2023 durch zahlreiche Innovationen glänzen. Ich persönlich freue mich aber auf direkte, insbesondere auch internationale Kontakte, die wir alle lange vermisst haben.“

 

Die sinnvolle Verknüpfung von Automation, Robotik und Digitalisierung gehört zu den Dauerbrennern, wenn es um die Optimierung von Prozessabläufen im Produktionsumfeld geht – inzwischen immer mehr angereichert um Digitale Zwillinge und künstliche Intelligenz. Auf der EMO Hannover 2023 trifft sich alles, was Rang und Namen hat, um sowohl aktuelle Lösungen selbst zu präsentieren als auch Ideen und Kooperationen für eigene Optimierungen zu sammeln. In Hannover bietet sich somit eine weltweit einmalige Gelegenheit, dem Wettbewerb die entscheidende Nasenlänge voraus zu sein.